Podcast Alexander Lachwitz Anastasia Neumann

Alexander Lachwitz ist nicht nur selbst ernannter Pixeljäger, Medienlümmel und Schmierfink, sondern auch ein ausgesprochen gewitzter Comicrezensent. In seinem Vortrag erläutert Lachwitz alles Wichtige zum Thema Comicrezensionen und gibt praktische Anwendungstipps! Für eine eigene Comicrezension dürfte damit nichts mehr fehlen. An die Comics, fertig, los!

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Expressionismus und Pulp admin

Transformationstechniken und intermediale Zitate in Karasiks und Mazzucchellis Paul Austers Stadt Aus Glas

von Robin Aust

„Das Problem ist die Geschichte selbst, und ob sie etwas bedeutet oder nicht, muss die Geschichte nicht sagen.“ (Auster: Stadt aus Glas. In: ders.: Die New-York-Trilogie, Reinbek bei Hamburg 2012, S. 5.)

Erschienen 1985, wurde der erste Teil der sogenannten New-York-Trilogie 2006 von Paul Karasik und David Mazzucchelli als – man möge die Verwendung dieses Begriffs nicht werten – graphic novel umgesetzt. Man könnte in diesem Falle eher sagen: Das Problem ist die Umsetzung der Geschichte selbst. Betrachtet man Art Spiegelmanns Vorwort zur Ausgabe, stechen verschiedene Aspekte ins Auge, von denen hier einer zentral sein soll: Die Versuche, den Roman zu verfilmen und die „kläglich fehlgeschlagen waren“ (Art Spiegelmann: Stadt aus Bildern statt aus Worten, in: Karasik/Mazzuchelli: Paul Austers Stadt aus Glas, S. 4), klammert Spiegelmann zwar wortwörtlich aus – das Verhältnis zum Film sollte der Leser dieses mit filmischen Techniken inszenierten Comics aber stets im Hinterkopf behalten.

Der Protagonist Daniel Quinn ist, als sein Pseudoautor William Wilson, Autor vieler spannender Kriminalromane (vgl. Paul Austers Stadt aus Glas, S.9) und Schöpfer des hardboiled detective Max Work. Weiter trägt auch der Roman Stadt aus Glas nicht nur mit „all seinen spielerischen Verweisen auf die Pulp-Literatur“ (Spiegelmann: Stadt aus Bildern statt aus Worten, S.4) die Züge eines solchen Romans – schlussendlich wird auch Quinn selbst innerhalb seiner eigenen Wahrnehmung zu einem hardboiled detective.

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Als konsequente Weiterführung finden sich in der Graphic Novel Paul Austers Stadt aus Glas viele narrative oder visuelle Elemente, die charakteristisch für den film noir der 1940er Jahre sind, der als filmische Entsprechung der hardboiled-detective-Stories gelten kann. Dem film noir, der hard-boiled detective story sowie konkret Paul Austers Stadt aus Glas sind ein gewisses Figureninventar gemein, das sich nicht auf die allgemein „pessimistisch-gebrochene Grundstimmung der Figuren“ (Sellmann: Hollywoods moderner film noir. Tendenzen, Motive, Ästhetik, S.30.) beschränkt. Verschiedene Typen wie seeker- und victim-hero finden sich in Daniel Quinn verkörpert wieder, zusätzlich zur Rolle des jüngeren Peter Stillmans als (vornehmlich) victim sowie des älteren Peter Stillmans als (vorgeblich) psychopath und Virginia (ausgerechnet Virginia) Stillmans femme fatale.

Auch der konsequente, mit auffällig harten Kontrasten versehene schwarzweiß-Stil eines Underground-Comics mag aus ästhetischen Gründen oder im Zuge der Abgrenzung von bunten Unterhaltungscomics verwendet worden sein, ist aber bei Paul Austers Stadt aus Glas gleichzeitig eine Reminiszenz an die konvergente Beibehaltung der Farbarmut und die düstere, kontrastreiche Bildästhetik des film noir.

Auch durch die Handlungsorte, die optisch als „Metaphern für Ich-Spaltung“ (Sellmann: Hollywoods moderner film noir. Tendenzen, Motive, Ästhetik, S.27.) fungieren, werden ähnliche Stimmungen erweckt wie durch die Bildgestaltung. Dabei sind vor allem „[d]as Gefühl der Entfremdung, das Ausgeliefertsein an fremde, höhere Mächte und der Mythos des ,Doppelgängers‘“ (ebd.) zentrale Effekte dieser visuellen Gestaltung.

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Neben diesem filmischen Einfluss und der comictypischen Gestaltung der typographischen Elemente und der Panels gibt es noch weitere inter- oder auch archipikturelle Verweise, die eine weitergehende Analyse wert sind. Zwischen Piktogrammen, stilistischen Verweisen auf mittelalterliche Holzschnitte finden sich auch intermediale Verweise auf den europäischen Expressionismus des frühen 20. Jahrhunderts sowie konkrete Bildzitate der bildenden Kunst. Diese konkreten Bildzitate werden durch diverse weitere Stilzitate und filmsemiotisch inspirierte Bildkompositionen wie Egoperspektiven und establishing shots neben der generellen film noir-Ästhetik ergänzt, die auf interpikturaler Ebene durch ihren assoziierten Bedeutungsgehalt den ansonsten verwendeten Zeichenstil Mazzucchellis ergänzen.

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Karasiks und Mazzucchelis Graphic Novel schwebt in diesem teils subtilen, teils sehr konkreten intermedialen Geflecht und verortet dabei den Comic jenseits von Literatur und Film in einer neuen Abzweigung, die eigene Mittel findet und bestehende weiterentwickelt.

Literatur:

Auster, Paul: Stadt aus Glas. Deutsch von Joachim A. Frank. Süddeutsche Zeitung Bibliothek, München, 2004.

Bachmann, Christian A./ Banhold, Lars/ Sina, Véronique: Comics intermedial, interdisziplinär In: dies. (Hrsg.): Comics intermedial. Beiträge zu einem interdisziplinären Forschungsfeld. Essen 2012. S. 7-10

Karasik, Paul / Mazzuchelli, David: Paul Austers Stadt aus Glas. Nach dem Roman von Paul Auster. Reprodukt, Berlin, 2010.

Sellmann, Michael: Hollywoods moderner film noir. Tendenzen, Motive, Ästhetik. Königshausen & Neumann, Würzburg, 2001.

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Das ‚geflügelte Wort‘ in Flix’ Faust admin

von Julia Götzl

Monika Schmitz-Emans beschreibt die Geschichte des Faust-Stoffs als Bildergeschichte, da es neben einer Vielzahl an literarischen Bearbeitungen auch zahlreiche Illustrationen zum Text bzw. zu einzelnen Figuren gibt (Schmitz-Emans 2012, S.296). Flix’ Faust verbindet die textliche mit der bildlichen Darstellungsebene und verlegt die Handlung nicht nur in die Gegenwart, sondern auch in die Wahlheimat des Autors Felix Görmann, nach Berlin. Dort jobbt Heinrich Faust nach der erfolglosen Beschäftigung mit verschiedenen Studienfächern als Taxifahrer und wird von seinem vormals besten Freund Wagner, einem querschnittsgelähmten Schwarzen, tyrannisiert. Er verliebt sich in die türkische, nicht streng gläubige Muslima Margarete, noch bevor Mephistopheles – im Text Meph genannt – in sein Leben tritt. Neben einigen Verweisen auf Schauplätze aus Goethes Faust, zum Beispiel die  Eckkneipe namens „zum Studierzimmer“ (Flix, S.16) oder die Edelboutique „Witch kitchen fashion“ (Flix, S.46), finden sich auch einige Zitate aus Faust I, die inzwischen als ,geflügelte Worte’ gelten. Dies erweist sich als besonders bedeutungsvoll, da Flix bei seiner Comic-Adaption nur selten direkt aus dem Drama zitiert. Der größere Wiedererkennungswert dieser Wendungen ermöglicht ein Spiel mit den Erwartungen des Lesers, der den Prätext kennt. Das folgende Beispiel entstammt dem Teufelspakt aus der Szene Studierzimmer:

„Werd’ ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zu Grunde gehn!“ (Goethe, V. 1699 – 1702)

Bei Flix hingegen sieht und liest man in dem entsprechenden Panel auf Fausts Frage nach dem Haken des Vertrags folgendes:

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Das Panel zeigt Faust mit Meph, der einen umfangreichen Block mit der Aufschrift Pakt in den Händen hält. Dieser befindet sich relativ mittig zwischen den beiden Figuren und fungiert als Blickfänger. Der Text steht in einer Sprechblase, deren unteres Ende die Bildebene durchdringt, da die Köpfe in sie eindringen, und deren Ventil Meph als Sprecher kennzeichnet. Nach Scott McCloud entspricht das Panel der textlastigen Verbindung von Sprache und Bildern (McCloud, S.161), die entsprechend auch ohne die Illustration verstanden wird.

Die Bedeutung des beschriebenen Bildes ergibt sich aus dem Adaptionscharakter dieses Comics, denn es verweist auf den Pakt mit dem Teufel, den Faust bei Goethe mit all seinen Konsequenzen eingeht, während der vor allem auf der Textebene wirkende Vertragscharakter bei Flix diesen Akt schon beinahe zu einer Lappalie degradiert, die auf Grund der ‚Schummelei‘ Gottes und der Bürokratisierung des Himmels keine weitreichenden Folgen zu haben scheint. Die zweite Erwähnung der Sentenz, die sich auf keine Stelle der Vorlage bezieht, findet sich in einem breiten Panel, das den Morgen nach dem ersten misslungen Annäherungsversuch an Margarethe zeigt.

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Fausts Entrüstung und Wut wird sowohl durch die fettgedruckten Passagen des Textes als auch durch dessen Mimik und Gestik ausgedrückt. Die Speedlines zwischen den fünf Visualisierungen Heinrichs in einem einzigen Panel verdeutlichen seinen emotional aufgewühlten Zustand und betonen die körpersprachlichen Erscheinungen. Vor allem die Hände sind großen Bewegungen unterworfen; Fausts linke Hand verdeckt teilweise die Sprechblase, in der „Verweile doch, du bist soooo schön!“ (Flix, S.54) zu lesen ist. Durch die räumliche Trennung zum Text der vorhergehenden Sprechblase wird der Eindruck verstärkt, dass es dem Protagonisten nun unmöglich scheint, Margarethes Herz zu erobern. Der schwarze Hintergrund des Panels – für die alleinige Darstellung Fausts unüblich – entspricht ebenfalls seinem Gemütszustand, wohingegen die korrelative Text-Bild-Verbindung Ironie erzeugt, denn die Bilder persiflieren Fausts Worte. Das untersuchte ,geflügelte Wort’ aus Goethes Faust wird von Flix an beiden Stellen durch die Verbindung von Sprache und Bildern abgebildet, die den Text in den Vordergrund stellt, so dass die Sentenz ohne die dazugehörige Bildebene verstanden werden kann. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen wird sichtbar, welche Eigenleistung in der Transformation einer literarischen Vorlage durch das Medium des Comics steckt. Denn dort, wo „bereits der Text den ‚Inhalt‘ umreisst, […] stehen den Bildern alle Türen offen“ (McCloud, S.167). Zusätzlich zur Veränderung des Settings werden durch die Visualisierungen und Illustrationen neue Schwerpunkte gesetzt. Der deutlich humoristische Ansatz wirkt durch die Parodie der deutschen Gesellschaft und Medienlandschaft (Schmitz–Emans, S.338f.) ebenso wie durch die besonders der Bildebene geschuldeten Situationskomik. Kenntnisse des Originals verstärken diese und zeigen unterschiedliche Nuancen bei der Bearbeitung eines Stoffes auf, die über die Literatur hinaus auf den jeweiligen Zeitgeist referieren. Somit erweist sich der gelungene Literatur-Comic auch als Deutung seiner Vorlage, der auf Grund der zusätzlichen bildlichen Darstellungsebenen verschiedene Interpretationsweisen spielerisch in sich vereint.

Quellen:

Flix: Faust. Der Tragödie erster Teil. Hamburg 2010.

Goethe, Johann Wolfgang von / Gaier, Ulrich [Hrsg.]: Faust. Erster Teil. Stuttgart 2009.

McCloud, Scott: Comics richtig lesen. Die unsichtbare Kunst. Hamburg 2001.

Schmitz-Emans, Monika: Literatur-Comics. Adaptionen und Transformationen der Weltliteratur. Berlin 2012.

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Podcast zum Vortrag von Ines Korth Anastasia Neumann

Anfang November besuchte uns die Comiczeichnerin Ines Korth im Seminar und hielt einen Vortrag über die Entwicklung und Geschichte des Comics in Deutschland im Vergleich zu Japan, Belgien und Amerika. Dank wunderbarer Einrichtungen, wie dem Medienlabor an der HHU, konnten wir diesen mitschneiden und Ihnen nun als Podcast zur Verfügung stellen. Der Variation halber finden Sie in diesem Post auch gleichzeitig ein verschriftliches Interview, welches die an den Vortrag anschließende Plenumsdiskussion zur Grundlage hat. Viel Spaß beim Lauschen und Lesen!

Frau Korth, welche sind Ihre Lieblingscomics?

IK: Meine persönliche Comic-Geschichte begann mit dem Micky Maus Magazin. Daher würde ich als erstes immer Don Rosa mit seinen Dagobert-Duck-Geschichten nennen. Das sind groß angelegte epische Abenteuergeschichten, die weit über normale Disney-Comics hinausgehen und teilweise wirklich lehrreich sind. Ansonsten habe ich später auch mit Mangas angefangen. Da gibt es beispielsweise die Serie Gokinjo Monogatari. Das ist eine sehr schöne Alltagsgeschichte – generell mag ich Alltagsgeschichten besonders gerne. Auch sehr reizvoll finde ich die momentan noch laufende amerikanische Serie Mouse Guard von David Petersen. Außerdem lese ich viele Web-Comics. Eine meiner Favoriten in diesem Bereich ist die Zeichnerin Asja Wiegand. Sie veröffentlicht auf der Seite www.gestern-noch.de. Wie man vermutlich merkt, lese ich eigentlich alles querbeet. Daher kann ich die Frage nicht mit einem Lieblingscomic beantworten, aber die hier genannten sind auf jeden Fall einige meiner absoluten Favoriten.

Es ist wirklich sehr interessant zu sehen, wie viele wechselseitige Einflüsse es auf den unterschiedlichsten Ebenen im Bereich Comic gibt. So haben wir zum Beispiel in Amerika deutschstämmige Amerikaner, die in ihren Comics deutsche und englische Wörter verbinden, wie »der Kapitän brings« usw. und in den 50er und 60er Jahren in Japan eine offenkundige Vorliebe für das mittelalterliche Europa, das Rokoko-Zeitalter, das Versailles des 18. Jahrhunderts… Wo meinen Sie kommt das her?

IK: Ich glaube es ist einfach die Exotik, die bei der Leserschaft gewünscht wurde. Es sind Geschichten abseits des Alltags, Geschichten aus fernen Ländern. Eben etwas anderes als das, was man so im Geschichtsunterricht vermittelt bekommt. Ich glaube, das ist einer der Gründe, weswegen solche Themen so beliebt waren.

Frühe japanische Bildergeschichten sahen relativ europäisch aus. Heutzutage ist ja dieser typische Manga-Stil signifikant für Japan. Gibt es einen bestimmten Grund für diese späte Stilentwicklung?

IK: Dafür gibt es verschiedene Erklärungsansätze, aber auf diesem Gebiet bin ich keine Expertin. Dieser typische Manga-Stil stammt unter anderem aus der Theater- und Grafikhistorie Japans. Um Emotionen ausdrücken zu können, wurde hier besonders großer Wert auf die geschminkten Gesichter – vor allem auf die auffällige Betonung der Augen – gelegt. Darauf lassen sich die großen Augen der Manga-Figuren zurückführen.

Während Ihres Vortrages haben Sie uns Vater und Sohn von Erich Ohser gezeigt. Ich habe diesen Comic – wie sicherlich einige der Seminarteilnehmer – mehrfach in der Schule gelesen, er wurde vom Lehrpersonal allerdings nie als Comic, sondern immer nur als Bildergeschichte bezeichnet. Diese Bezeichnung ist doch sicherlich signifikant für die Wahrnehmung des Medium Comic in Deutschland, oder wie sehen Sie das?

IK: Also bei den Vater und Sohn-Geschichten ist es eben so, dass eines der wichtigsten Merkmale des Comics, nämlich die Integrierung von Text – speziell die Sprechblasen – fehlt. Und wenn dieser prototypische Aspekt eines Comics entfällt, schließen die meisten Leute bei einem Comic ohne Sprechblasen eher auf eine Bildergeschichte. Dabei unterscheiden sich Comics weniger über das Vorhandensein von Text als vielmehr durch die Integration des Textes in die Bilder von den traditionellen Bildergeschichten des 19. Jahrhunderts. Außerdem wird man in der Schule kaum mit Comics konfrontiert, was dazu führt, dass sich die Leute – wenn überhaupt – dem Medium erst später nähern. Wobei ich es schön fände, wenn an Schulen das Potenzial der Comics komplexe Sachverhalte oder bestimmte Vorgänge schnell und einfach erklären zu können, genutzt werden würde.

Also sind Sie auch der Meinung, dass es dem Medium Comic Aufschwung geben und ihm helfen würde wenn sich Institutionen, wie die Schule oder die Universität, ihm gegenüber öffnen und diesen auch als solchen bezeichnen würden?

IK: Auf jeden Fall. Warum sollte man sich mit einem gut gemachten Comic nicht genauso wie mit Literatur oder einem Film befassen können? Ich bin der Meinung, dass man sich mit einem Comic genauso gut und lehrreich beschäftigen kann wie mit anderen Medien auch. Aber wie gesagt halte ich es darüber hinaus auch für sinnvoll, Comics für die Vermittlung von Lehrinhalten einzusetzen, z.B. im Chemieunterricht in Form einer Illustration für einen Versuchsaufbau. Je früher man damit anfängt, desto eher setzt sich der Comic als ein Medium in den Köpfen der Leute fest, das wie Film und Literatur interpretierbar und auch nutzbar gemacht werden kann.

In der Comicgeschichte lässt sich ja laut Scott McCloud eine Entwicklung weg von vermeintlicher Trivialität hin zum Comic als Kunstform feststellen. Wie schätzen Sie diese „Evolution“ des Comics ein? Ist der Comic nun eine reine Kunstform geworden oder sollten diese sogenannten trivialen Comics (Superheldengeschichten etc.) gleichberechtigt neben dem anspruchsvollen Comic stehen? Und wie sieht das Ganze bei den von Ihnen bereits erwähnten Sachcomics aus? Wie würden Sie Sach- und Kunstcomics unterscheiden?

IK: Ich heiße die Entwicklung des Comics zum Kunstmedium zwar durchaus willkommen, aber ich würde es unter keinen Umständen schätzen, wenn jetzt der Comic zum reinen Kunstmedium wird und nur noch anspruchsvolle Comics produziert werden würden. Denn das würde bedeuten, dass einfach ein sehr großer Teil wegfallen würde. Es gibt ja auch Kunstfilme und das sogenannte Popcorn-Kino – warum kann es dann nicht auch „Popcorn-Comics“ geben? Man kann ja auch an einem gut gezeichneten Superheldencomic Freude haben. Ich finde es richtig und wichtig, dass es sowohl anspruchsvolle als auch unterhaltende Comics gibt. Zumal es ja auch dann zu fruchtbaren Mischungen beider Formen kommen kann, wie z.B. die Comics Watchmen oder The Dark Knight Rises unter Beweis stellen. Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, verhält es sich im Prinzip ähnlich. Warum sollte man nicht alle Möglichkeiten eines Mediums ausschöpfen? Comics sollten sowohl kunstvoll und gewissermaßen zwecklos als auch sachlich informierend sein dürfen. Das Medium Comic muss in seiner Gesamtheit betrachtet werden. Meiner Meinung nach sollten unterhaltende Comics, Kunst- und Sachcomics gleichberechtigt nebeneinander stehen dürfen und je nach Bedarf genutzt werden können.

Innerhalb des übergeordneten Mediums Comic könnte man also ihrer Meinung nach weiter klassifizieren und Unterkategorien bilden, wenn ich Sie richtig verstanden habe. In unserem Seminar beschäftigen wir uns ja mit literarischen Comic-Adaptionen, die in der öffentlichen Wahrnehmung oft als Graphic Novels erscheinen. Graphic Novels wird in diesem Zuge ein gewisser ästhetischer Anspruch zugewiesen, der den – sagen wir mal – „normalen“ Comics angeblich fehlen soll. Außerdem heißt es Graphic Novels seien etwas für Erwachsene, während Comics triviale Heftchen für Kinder und Jugendliche sind. Wie schätzen Sie aus Ihrer Perspektive als Comiczeichnerin die Gattungsbezeichnung Graphic Novel ein?

IK: Vorneweg: Ich und viele andere Zeichner haben ein Problem mit diesem Begriff. Vor allem in den letzten Jahren hat seine Verwendung stark zugenommen, obwohl es keine eindeutige Definition dieses Begriffs gibt. Was ist eine Graphic Novel? Im amerikanischen Bereich werden Graphic Novels von Comics beispielsweise häufig nur über ihre spezielle Erscheinungsform als gebundenes Buch unterschieden. Damit wird noch gar keine Aussage über den inhaltlichen Anspruch getroffen. Während es hier in Deutschland heißt, Graphic Novels seien anspruchsvolle Comics für Erwachsene. Aber wer definiert hier, was den Anspruch genau ausmacht? Wo zieht man die Grenze zwischen Erwachsenen- und beispielsweise Jugendcomics, die auch Erwachsenen viel bieten können? Momentan wird der Begriff Graphic Novel in Deutschland einfach als ein Marketingtrick eingesetzt. Selbst Dirk Rehm, Chef des Verlags Reprodukt (bekannt für seine Graphic Novels), sagte einst, dass die Verlagsbranche klar von der Bezeichnung Graphic Novel (im Sinne eines anspruchsvollen Comics für Erwachsene) profitiert, zumal der Begriff in diversen Feuilletons in gleicher Weise verwendet wird. Natürlich freue ich mich über gute Absatzzahlen auf dem Comicmarkt, aber ich habe ein Problem damit, dass dieser Begriff genutzt wird, um sich von Comics allgemeiner Art zu distanzieren. Während z.B. literarische Comic-Adaptionen mit dem Begriff Graphic Novel sprachlich aufgewertet werden, werden andere Comics, die sich durchaus als solche bezeichnen könnten, gleichzeitig diffamiert. Dabei sind Graphic Novels doch Comics, denn Graphic Novel ist ein Genrebegriff und sollte auch als solcher verstanden werden. Wenn sie eine Graphic Novel lesen, lesen sie einen Comic! Nichts anderes.

Vielen Dank Frau Korth!

[Die Fragen an Frau Korth wurden von den Seminarteilnehmern und dem Projektteam gestellt]

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Die Komik im Kafka-Comic Anastasia Neumann

Corbeyrans und Hornes Die Verwandlung von Franz Kafka

Beim Lesen der Erzählung Franz Kafkas Die Verwandlung hat der Leser üblicherweise nichts zu Lachen. Sowohl die Geschichte selbst als auch ihre sprachliche Umsetzung erscheinen in der Regel düster, bedrückend und absurd: eben kafkaesk. Aber dass Kafkas Texten eine gewisse Komik innewohnt, hat bereits sein guter Freund und Verleger Max Brod konstatiert:

„Wenn Kafka selbst vorlas, wurde dieser Humor besonders deutlich. So zum Beispiel lachten wir Freunde ganz unbändig, als er uns das erste Kapitel des Prozeß zu Gehör brachte. Und er selbst lachte so sehr, daß er weilchenweise nicht weiterlesen konnte. – Erstaunlich genug, wenn man den fürchterlichen Ernst dieses Kapitels bedenkt. / Aber es war so. / Gewiß, es war kein durchaus gutes behagliches Lachen. Aber eine Komponente guten Lachens war mit dabei, – neben den hundert Komponenten der Unheimlichkeit, die ich nicht verkleinern will. Ich weise nur auch auf das hin, was man sonst bei Betrachtung Kafkas leicht vergißt: den Einschlag von Welt- und Lebensfreude.“ (Brod, S. 217)

Und auch bei der Betrachtung der Comic-Adaption einer Kafka-Erzählung, nämlich Die Verwandlung des Zeichners Richard Horne und des Autors Eric Corbeyran (in der dt. Adaption von Kai Wilksen), mag der Leser den von Brod bezeichneten „Einschlag von Welt- und Lebensfreude“ (ebd.) zunächst nicht erkennen, erscheint das Comic doch in recht dunklem Gewand. Seine Produktion muss eine enorme Menge an Druckerschwärze verbraucht haben. Aber (mindestens) zwei signifikante Unterschiede zum Original sind deutlich zu erkennen: Zum einen wird die im Text niemals konkret benannte Kreatur – in welche sich Gregor Samsa eines Morgens verwandelt vorfindet – in anatomisch teilweise penibler Genauigkeit als Schabe illustriert. Zum anderen bricht der Comic mit der Erwartung des Lesers, die scheinbar bedrückende Stimmung der Erzählung bloß bildlich umzusetzen. Denn mag das Buch durch seine düstere Aufmachung und eine überdimensional großen Schabe auf der Titelseite den Leser zunächst verschrecken, so wird er, wenn er sich traut, auf dessen Seiten zahlreiche Widersprüche bild-textueller Form feststellen, die eine gewisse Komik – gerade aufgrund ihrer Paradoxien – bewirken.

Corbeyran und Horne adaptieren Kafkas Die Verwandlung nicht nur – sie interpretieren sie neu. Beziehungsweise interpretieren sie die Vorlage auf eine Weise, die die im Text bereits angelegten Elemente besonders zur Geltung kommen lässt. Damit ziele ich aber weniger auf die Verkörperung Gregors nach seiner Verwandlung als vielmehr auf die potenzielle Komik des Originals ab. Auf den Punkt gebracht heißt das: Corbeyran und Horne bringen in ihrer Comic-Adaption Text und Bild auf eine Weise zusammen, die die tiefere Ebene der Ironie der Erzählung erst zum Vorschein bringt.

Wie aber funktioniert die Komik in dieser Comic-Adaption? Zunächst sei erwähnt, dass mit dem Begriff der Komik hier kein seichter, auf den ersten Blick erkennbarer Humor gemeint ist. Die Komik in Corbeyrans und Hornes Version der Verwandlung gleicht eher dem, was üblicherweise als Ironie oder teilweise auch schwarzer Humor bezeichnet wird. Sie entsteht, indem Bild und Text auf paradoxe und widersprüchliche Art zusammengefügt werden. So beispielsweise auf den folgenden Panels [für ein größeres Bild bitte anklicken]:

Kafka Comic VerwandlungDie Splash Page zeigt Gregor als Schabe in voller Größe auf seinem Bett liegend und darüber nachdenkend, ob er sich krank melden soll. Auf dieser Splash Page sind kleinere Panels dynamisch angeordnet, die Detailansichten einzelner Körperteile Gregors zeigen und jeweils mit Captions versehen sind, in denen der Erzähler aus der personalen Erzählperspektive Gregors Argumente gegen eine Krankmeldung anbringt. So sei er beispielsweise „während seines fünfjährigen Dienstes […] noch nicht ein einziges Mal krank gewesen“ und könne sich dies auch nicht leisten, da sein „Chef die Gelegenheit beim Schopfe packen und bei ihm auftauchen“ (Corbeyran & Horne) würde, um ihn als faul und arbeitsscheu zu deklarieren. In allen diesen fünf Panels besteht eine Diskrepanz zwischen dem Text in den Captions und der Illustration des jeweiligen Ausschnitts von Gregors Körper, der dessen Verwandlung und Arbeitsunfähigkeit in aller Deutlichkeit zeigt. Von oben nach unten und links nach rechts gelesen steigen diese Diskrepanz und die mit ihr verbundene Ironie, wenn es z.B. im vorletzten Panel, welches ein Close-up seines Insektenauges zeigt, heißt: „Gregor fühlte sich tatsächlich, abgesehen von einer nach langem Schlaf wirklich überflüssigen Schläfrigkeit, ganz wohl.“ (ebd.) Und im letzten Panel erfährt der Leser, dass Gregor „sogar besonders hungrig“ (ebd.) sei, während er mit den von gelbem Speichel triefenden Mandibeln konfrontiert wird. Diese provokative graphische Umsetzung der Verwandlung Gregors in all ihren Details, gepaart mit seinen verharmlosenden Gedanken, offenbart insbesondere das komische Potenzial des Originals. Damit entspricht die Comic-Adaption durchaus dem kafkaesken Stil absurd zu wirken.

Während in der Erzählung die Art der Verwandlung Gregors der Phantasie des Lesers überlassen wird und dieser sich nie sicher sein kann, ob Gregors Beschwichtigungen nicht doch wahr sein könnten und er sich das Ganze womöglich tatsächlich nur „durch ungeschicktes Liegen“ und eine „Verkühlung“ (Kafka, S.13) eingehandelt hat, wird im Comic aufgrund seiner graphischen Natur stets deutlich, dass die Verwandlung in eine Schabe faktisch vollzogen wurde. Wenn auch die Rätselhaftigkeit des Originals also unter der Eindeutigkeit der Bildsprache der Adaption leidet, so wird durch die paradoxe Zusammenführung von Text und Bild, die in der Erzählung angelegte ironische Komik besonders betont.

Ausführliches zum Aspekt der Komik in Kafkas Texten und ihren Adaptionen – vor allem auch anhand anderer Beispiele – finden Sie in der mit dem Roland-Faelske-Preis für Comic und Animationsfilm ausgezeichneten Magisterarbeit Ute Friedrichs mit dem Titel: „Komik – Comic. Komische Elemente in den Texten Franz Kafkas und ihre bildliche Umsetzung in verschiedenen Comic-Adaptionen.“

von Anastasia Neumann

Quellen:

Brod, Max: Frank Kafka. Eine Biographie. Berlin 1954.

Corbeyran, Erik/ Horne, Richard/ Wilksen, Kai (dt. Adaption): Die Verwandlung von Franz Kafka. Dt. Erstausg., 2. Aufl., München: Knesebeck, 2011.

Friedrich, Ute: Komik – Comic. Komische Elemente in den Texten Franz Kafkas und ihre bildliche Umsetzung in verschiedenen Comic-Adaptionen. 2009. Online unter: Klick!  (17.11.13)

Kafka, Franz: Die Verwandlung. Frankfurt a.M. 1999.

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