Anfang November besuchte uns die Comiczeichnerin Ines Korth im Seminar und hielt einen Vortrag über die Entwicklung und Geschichte des Comics in Deutschland im Vergleich zu Japan, Belgien und Amerika. Dank wunderbarer Einrichtungen, wie dem Medienlabor an der HHU, konnten wir diesen mitschneiden und Ihnen nun als Podcast zur Verfügung stellen. Der Variation halber finden Sie in diesem Post auch gleichzeitig ein verschriftliches Interview, welches die an den Vortrag anschließende Plenumsdiskussion zur Grundlage hat. Viel Spaß beim Lauschen und Lesen!
Frau Korth, welche sind Ihre Lieblingscomics?
IK: Meine persönliche Comic-Geschichte begann mit dem Micky Maus Magazin. Daher würde ich als erstes immer Don Rosa mit seinen Dagobert-Duck-Geschichten nennen. Das sind groß angelegte epische Abenteuergeschichten, die weit über normale Disney-Comics hinausgehen und teilweise wirklich lehrreich sind. Ansonsten habe ich später auch mit Mangas angefangen. Da gibt es beispielsweise die Serie Gokinjo Monogatari. Das ist eine sehr schöne Alltagsgeschichte – generell mag ich Alltagsgeschichten besonders gerne. Auch sehr reizvoll finde ich die momentan noch laufende amerikanische Serie Mouse Guard von David Petersen. Außerdem lese ich viele Web-Comics. Eine meiner Favoriten in diesem Bereich ist die Zeichnerin Asja Wiegand. Sie veröffentlicht auf der Seite www.gestern-noch.de. Wie man vermutlich merkt, lese ich eigentlich alles querbeet. Daher kann ich die Frage nicht mit einem Lieblingscomic beantworten, aber die hier genannten sind auf jeden Fall einige meiner absoluten Favoriten.
Es ist wirklich sehr interessant zu sehen, wie viele wechselseitige Einflüsse es auf den unterschiedlichsten Ebenen im Bereich Comic gibt. So haben wir zum Beispiel in Amerika deutschstämmige Amerikaner, die in ihren Comics deutsche und englische Wörter verbinden, wie »der Kapitän brings« usw. und in den 50er und 60er Jahren in Japan eine offenkundige Vorliebe für das mittelalterliche Europa, das Rokoko-Zeitalter, das Versailles des 18. Jahrhunderts… Wo meinen Sie kommt das her?
IK: Ich glaube es ist einfach die Exotik, die bei der Leserschaft gewünscht wurde. Es sind Geschichten abseits des Alltags, Geschichten aus fernen Ländern. Eben etwas anderes als das, was man so im Geschichtsunterricht vermittelt bekommt. Ich glaube, das ist einer der Gründe, weswegen solche Themen so beliebt waren.
Frühe japanische Bildergeschichten sahen relativ europäisch aus. Heutzutage ist ja dieser typische Manga-Stil signifikant für Japan. Gibt es einen bestimmten Grund für diese späte Stilentwicklung?
IK: Dafür gibt es verschiedene Erklärungsansätze, aber auf diesem Gebiet bin ich keine Expertin. Dieser typische Manga-Stil stammt unter anderem aus der Theater- und Grafikhistorie Japans. Um Emotionen ausdrücken zu können, wurde hier besonders großer Wert auf die geschminkten Gesichter – vor allem auf die auffällige Betonung der Augen – gelegt. Darauf lassen sich die großen Augen der Manga-Figuren zurückführen.
Während Ihres Vortrages haben Sie uns Vater und Sohn von Erich Ohser gezeigt. Ich habe diesen Comic – wie sicherlich einige der Seminarteilnehmer – mehrfach in der Schule gelesen, er wurde vom Lehrpersonal allerdings nie als Comic, sondern immer nur als Bildergeschichte bezeichnet. Diese Bezeichnung ist doch sicherlich signifikant für die Wahrnehmung des Medium Comic in Deutschland, oder wie sehen Sie das?
IK: Also bei den Vater und Sohn-Geschichten ist es eben so, dass eines der wichtigsten Merkmale des Comics, nämlich die Integrierung von Text – speziell die Sprechblasen – fehlt. Und wenn dieser prototypische Aspekt eines Comics entfällt, schließen die meisten Leute bei einem Comic ohne Sprechblasen eher auf eine Bildergeschichte. Dabei unterscheiden sich Comics weniger über das Vorhandensein von Text als vielmehr durch die Integration des Textes in die Bilder von den traditionellen Bildergeschichten des 19. Jahrhunderts. Außerdem wird man in der Schule kaum mit Comics konfrontiert, was dazu führt, dass sich die Leute – wenn überhaupt – dem Medium erst später nähern. Wobei ich es schön fände, wenn an Schulen das Potenzial der Comics komplexe Sachverhalte oder bestimmte Vorgänge schnell und einfach erklären zu können, genutzt werden würde.
Also sind Sie auch der Meinung, dass es dem Medium Comic Aufschwung geben und ihm helfen würde wenn sich Institutionen, wie die Schule oder die Universität, ihm gegenüber öffnen und diesen auch als solchen bezeichnen würden?
IK: Auf jeden Fall. Warum sollte man sich mit einem gut gemachten Comic nicht genauso wie mit Literatur oder einem Film befassen können? Ich bin der Meinung, dass man sich mit einem Comic genauso gut und lehrreich beschäftigen kann wie mit anderen Medien auch. Aber wie gesagt halte ich es darüber hinaus auch für sinnvoll, Comics für die Vermittlung von Lehrinhalten einzusetzen, z.B. im Chemieunterricht in Form einer Illustration für einen Versuchsaufbau. Je früher man damit anfängt, desto eher setzt sich der Comic als ein Medium in den Köpfen der Leute fest, das wie Film und Literatur interpretierbar und auch nutzbar gemacht werden kann.
In der Comicgeschichte lässt sich ja laut Scott McCloud eine Entwicklung weg von vermeintlicher Trivialität hin zum Comic als Kunstform feststellen. Wie schätzen Sie diese „Evolution“ des Comics ein? Ist der Comic nun eine reine Kunstform geworden oder sollten diese sogenannten trivialen Comics (Superheldengeschichten etc.) gleichberechtigt neben dem anspruchsvollen Comic stehen? Und wie sieht das Ganze bei den von Ihnen bereits erwähnten Sachcomics aus? Wie würden Sie Sach- und Kunstcomics unterscheiden?
IK: Ich heiße die Entwicklung des Comics zum Kunstmedium zwar durchaus willkommen, aber ich würde es unter keinen Umständen schätzen, wenn jetzt der Comic zum reinen Kunstmedium wird und nur noch anspruchsvolle Comics produziert werden würden. Denn das würde bedeuten, dass einfach ein sehr großer Teil wegfallen würde. Es gibt ja auch Kunstfilme und das sogenannte Popcorn-Kino – warum kann es dann nicht auch „Popcorn-Comics“ geben? Man kann ja auch an einem gut gezeichneten Superheldencomic Freude haben. Ich finde es richtig und wichtig, dass es sowohl anspruchsvolle als auch unterhaltende Comics gibt. Zumal es ja auch dann zu fruchtbaren Mischungen beider Formen kommen kann, wie z.B. die Comics Watchmen oder The Dark Knight Rises unter Beweis stellen. Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, verhält es sich im Prinzip ähnlich. Warum sollte man nicht alle Möglichkeiten eines Mediums ausschöpfen? Comics sollten sowohl kunstvoll und gewissermaßen zwecklos als auch sachlich informierend sein dürfen. Das Medium Comic muss in seiner Gesamtheit betrachtet werden. Meiner Meinung nach sollten unterhaltende Comics, Kunst- und Sachcomics gleichberechtigt nebeneinander stehen dürfen und je nach Bedarf genutzt werden können.
Innerhalb des übergeordneten Mediums Comic könnte man also ihrer Meinung nach weiter klassifizieren und Unterkategorien bilden, wenn ich Sie richtig verstanden habe. In unserem Seminar beschäftigen wir uns ja mit literarischen Comic-Adaptionen, die in der öffentlichen Wahrnehmung oft als Graphic Novels erscheinen. Graphic Novels wird in diesem Zuge ein gewisser ästhetischer Anspruch zugewiesen, der den – sagen wir mal – „normalen“ Comics angeblich fehlen soll. Außerdem heißt es Graphic Novels seien etwas für Erwachsene, während Comics triviale Heftchen für Kinder und Jugendliche sind. Wie schätzen Sie aus Ihrer Perspektive als Comiczeichnerin die Gattungsbezeichnung Graphic Novel ein?
IK: Vorneweg: Ich und viele andere Zeichner haben ein Problem mit diesem Begriff. Vor allem in den letzten Jahren hat seine Verwendung stark zugenommen, obwohl es keine eindeutige Definition dieses Begriffs gibt. Was ist eine Graphic Novel? Im amerikanischen Bereich werden Graphic Novels von Comics beispielsweise häufig nur über ihre spezielle Erscheinungsform als gebundenes Buch unterschieden. Damit wird noch gar keine Aussage über den inhaltlichen Anspruch getroffen. Während es hier in Deutschland heißt, Graphic Novels seien anspruchsvolle Comics für Erwachsene. Aber wer definiert hier, was den Anspruch genau ausmacht? Wo zieht man die Grenze zwischen Erwachsenen- und beispielsweise Jugendcomics, die auch Erwachsenen viel bieten können? Momentan wird der Begriff Graphic Novel in Deutschland einfach als ein Marketingtrick eingesetzt. Selbst Dirk Rehm, Chef des Verlags Reprodukt (bekannt für seine Graphic Novels), sagte einst, dass die Verlagsbranche klar von der Bezeichnung Graphic Novel (im Sinne eines anspruchsvollen Comics für Erwachsene) profitiert, zumal der Begriff in diversen Feuilletons in gleicher Weise verwendet wird. Natürlich freue ich mich über gute Absatzzahlen auf dem Comicmarkt, aber ich habe ein Problem damit, dass dieser Begriff genutzt wird, um sich von Comics allgemeiner Art zu distanzieren. Während z.B. literarische Comic-Adaptionen mit dem Begriff Graphic Novel sprachlich aufgewertet werden, werden andere Comics, die sich durchaus als solche bezeichnen könnten, gleichzeitig diffamiert. Dabei sind Graphic Novels doch Comics, denn Graphic Novel ist ein Genrebegriff und sollte auch als solcher verstanden werden. Wenn sie eine Graphic Novel lesen, lesen sie einen Comic! Nichts anderes.
Vielen Dank Frau Korth!
[Die Fragen an Frau Korth wurden von den Seminarteilnehmern und dem Projektteam gestellt]