Interview mit Comic Report Anastasia Neumann

Die Organisatoren der Tagung

Matthias Hofmann von Comic-Report.de führte kürzlich ein Interview mit den Organisatoren unserer Tagung “Graphisches Erzählen – Neue Perspektiven auf Literaturcomics”. Es geht um Lieblingscomics, Comics an Universitäten und der immer wiederkehrenden Frage: Graphic Novel oder Comic? Hier geht’s lang zum vollen Artikel: KLICK!

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Podcast Sarah Burrini Anastasia Neumann

Wir freuen uns Ihnen heute ein weiteres Highlight unserer Podcast-Reihe präsentieren zu dürfen. Sarah Burrini, Autorin und Zeichnerin des Webcomics “Das Leben ist kein Ponyhof”, spricht über die Entwicklung der Webcomics in Deutschland, zieht Vergleiche zu Amerika und zeigt, warum auch das Leben als Webcomiczeichner nicht unbedingt der Ponyhof ist, den man gerne hätte. Zumindest was das Finanzielle angeht.

Im Anschluss an Ihren Vortrag stellte Sarah Burrini sich noch einer Fragerunde im Plenum.

Frau Burrini, wie stehen Sie zum Begriff Graphic Novel?

SB: Zunächst einmal möchte ich erwähnen, dass ich generell eher diplomatisch veranlagt bin und nur ungern generalisiere. Die Kennzeichnung Graphic Novel hat für mich den herausragenden Vorteil, dass dieser Begriff es scheinbar schafft, Comics für ein womöglich eher skeptischeres Publikum – und vor allem auch für die Presse – attraktiver zu machen. Allerdings habe ich das Gefühl, dass mit diesem Begriff viel zu inflationär umgegangen wird und teilweise Comics den „Graphic-Novel-Aufkleber“ erhalten, die eigentlich gar keine sind. Dies bringt das Risiko mit sich, dass im Zuge dieser Bewegung womöglich auch der Graphic Novel das trashige Image – mit dem „normale“ Comics ja oft zu kämpfen haben – angehängt wird. Vorurteile gegenüber Comics werden damit zu Vorurteilen gegenüber Graphic Novels. Und das ist offensichtlich nicht der Sinn der Sache! Um meiner Meinung nach aber wirklich nachhaltig zu arbeiten, müsste man das antiquierte Bild von Comics als Trash bearbeiten, bzw. auch einmal darüber nachdenken, was Trash überhaupt ist und ob es immer etwas Schlechtes sein muss. Alles in Allem bezweifle ich aber, dass der Begriff Graphic Novel mehr als ein vorrübergehender Hype ist. Und selbst der vorhin erwähnte Vorteil tritt nicht immer ein. Oft werden bestimmte Graphic Novels von der Presse gelobt, bleiben aber ein Ladenhüter. FAZ heißt scheinbar nicht immer gleich Bestseller. Also sollte man sich nicht auf ein neues Gewand verlassen, sondern lieber dafür sorgen, das alte wieder schätzen zu lernen.

Sie hatten in Ihrem Vortrag von den finanziellen Problemstellen von Webcomic-Zeichnern gesprochen. Nun gibt es ja aber auch einige Beispiele von Webcomics, die zu Printversionen wurden. Wie sehr hat man als Comic-Zeichner beim Designen von Webcomics bereits eine mögliche Printversion im Hinterkopf? Ist das tatsächlich schon von Anfang an ein Thema oder versucht man das erst einmal vollständig auszublenden und gar nicht an die Finanzen zu denken?

SB: Also ich glaube, das unterscheidet sich von Künstler zu Künstler extrem. Es gibt Leute wie mich, die nur zum Spaß angefangen haben und andere, die den Print von Anfang an vor Augen hatten. Es ist natürlich auch kein unwichtiger Aspekt, dass man durch Print zur Abwechslung auch wirklich einmal Kohle sieht. Aber bei dem von mir im Vortrag erwähnten Daniel Lieske (Wormworld Saga) bin ich mir z.B. sicher, dass er zunächst nicht an eine Printversion gedacht hat, weil er einfach mit dieser Form der Publikation nicht zufrieden war. Es mussten erst sehr viele Verlage an ihn herantreten bis er schließlich einer Printversion zugestimmt hat. Es gibt also auf der einen Seite Leute, die konkret auf eine Printveröffentlichung hinarbeiten und ihre Webcomics als Vorveröffentlichungen betrachten und dann gibt es andere, die alle Reize eines Webcomics ausnützen und sich nicht von diesem Medium lösen wollen oder können, weil sie eben mit Animationen und dergleichen arbeiten, die eine Printversion nicht bieten kann.

Eine weitere Frage zur Finanzierung – Stichwort Crowdfunding: Merkt man auch im Bereich Comic, dass das zunehmend ein Thema wird?

SB: Ich denke ja. In Deutschland ist man angesichts des Themas allerdings noch eher verhalten, was daran liegt, dass viele an der Kompetenz von Startnext zweifeln und man für Kickstarter aber eine amerikanische Postadresse braucht. In den USA ging das Crowdfunding für Comics aber durch die Decke! Order oft the Stick ist z.B. eigentlich ein schon sehr alter Webcomic, der z.T. nur aus Strichmännchen besteht, es aber geschafft hat für einen Reprint, also lediglich eine Neuauflage, eine Million US-Dollar einzusammeln. Und gerade da sieht man, dass eine treue Leserschaft, die einen unterstützen möchte, sich sehr bezahlt machen kann. Hier in Deutschland hat das im Cartoon-Bereich Joscha Sauer versucht und für seine Cartoon-Serie Nicht lustig 250.000 € eingesammelt. Aber da hat man schon gesehen, dass es unheimlich viel Mühe und PR gekostet hat dieses Geld an Land zu holen, obwohl Joscha Sauer eigentlich ein bereits sehr bekannter Cartoonist ist. Es gibt daher auch nicht so viele Indie-Projekte, die sich ans Crowdfunding wagen und mir würden sogar spontan einige einfallen, die daran gescheitert sind. Wenn man es machen möchte, braucht man eben einfach eine richtig gute Idee und vor allem auch ein sehr gutes Finanzierungskonzept. Und ich kann zwar nicht für alle sprechen, aber ich als Comiczeichnerin kenne mich mit betriebswirtschaftlichen Dingen zum Beispiel nicht sehr gut aus. Da wäre es also vielleicht von Vorteil und ein guter Tipp sich Hilfe von außen zu holen, wenn man so etwas ins Auge fasst.

Liebe Frau Burrini, herzlichen Dank und noch viel Erfolg weiterhin!

[Die Fragen an Frau Burrini wurden von dem Projektteam gestellt.]

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Werktreue im Kafka-Comic admin

Ricards/Maëls In der Strafkolonie nach Franz Kafka

von Sascha Winkler

Eine erstmalige Literaturadaption der Strafkolonie im Comic wurde uns (nebst weiteren) 1993 von David Zane Mairowitz und Robert Crumb mit der gezeichneten Biographie Kafka gegeben. Die Adaption ist nicht koloriert, fragmentarisch aufgebaut und endet bereits mit dem Tod des Offiziers.

Sehr viel ausführlicher arbeiten Sylvain Ricard und Maël, indem sie der Erzählung einen eigenen Comic-Band widmen. Die McCloudschen Übergangstypen 1 und 2, also von Augenblick zu Augenblick und von Handlung zu Handlung (McCloud 2001, S.78ff.), bewahren hier die Nuancen des gegenseitigen Belauerns und Beobachtens. Immerhin wird gerade die Originalerzählung von ihrem Dialog getragen, indem der Offizier den Reisenden mithilfe von anschaulichen Beschreibungen zu überzeugen versucht; auch die von Maël gewählte sepiafarbene Palette in Grau-, Rot- sowie Gelbtönen unterstreicht den Dialog und bietet eine Erweiterung der Lesbarkeit und Introspektion an: sie kann die lokale Hitze darstellen, den insgeheim in der Kolonie geehrten aber veralteten Zeitgeist oder die Müdigkeit des Sich-Erwehrens, vor allem die Nuancen der Beziehungsentwicklung der Figuren treten stark heraus. Man hat hier einen Weg eingeschlagen, der den Surrealismus der Geschichte in ihrem vollen Ausdruck umzusetzen sucht. Die Emotionalität bleibt allerdings eine Sache der bildlichen Darstellung und findet sich im Sprechblasentext nicht wieder. Wie die Strenge des Gutter-Aufbaus durch die Kolorierung kompensiert wird, lässt sich an den folgenden Beispielen herauslesen:

kafka2Betrachten wir die Farbwirkung der vier nachgeordneten Panels, indem wir sie von oben nach unten lesen: Die orangene Farbe tritt besonders stechend hervor, entsprechend wird ein Höhepunkt markiert, der inhaltlich dem drängenden Überzeugungswillen des Offiziers entspricht. Das  nächste Panel ist bläulich-grau hinterlegt, um den plötzlichen Abbruch des gerade Geschehenen zu illustrieren, ein Erkalten der Situation, das für den Offizier eine Verschnaufpause, für den Reisenden einen Schockmoment, wohl auch Ungläubigkeit ob des Emotionsausbruchs bedeutet. Die Erstarrung des Geschehens weicht im darauffolgenden Panel einem allmählichen Ocker. Der Offizier wartet ab, das erste Gefühl des Misserfolgs mag ihn beschleichen, während der Reisende selbst im Blau-Grau des vorangegangenen Panels gehalten ist und mit einer weiteren Reaktion seines Gegenübers rechnet bzw. im gleichen Augenblick die Situation abschließt. Das letzte Panel entbehrt fast völlig der Farbe, ein wenig Braun liegt im Hintergrund, die Entscheidung ist gefallen. Das Fehlen der Farbe bedeutet hier den Feststand, die Unumkehrbarkeit: die Figuren sind weiß; der Reisende wird seine Meinung nicht mehr ändern, dem Offizier weicht das Blut. Das Licht ist scheinbar ausgeschaltet worden und wir haben exemplarisch für die Adaption festgestellt, dass durch die Kolorierung des Hintergrunds nicht nur eine Stimmung erzeugt wird, die neben dem Text der Sprechblasen eine neue Möglichkeit des Lesens anbietet, sondern auch eine gewisse Induktionshilfe vorliegt.

Ein anderes Beispiel für die Bedeutung der Kolorierung ist die Darstellung der Offiziersrede:

kafka1Die Autoren verzichten hier auf Details der Umgebung, so sie verzichtbar sind und untermalen lediglich mit der Darstellung von Stühlen die Vorstellung des Offiziers, der hier verschiedene Rollen verkörpert. Im zweiten Panel nimmt er beispielsweise die Position des Reisenden ein, indem er durch die Einfarbigkeit des Hintergrunds in der Luft zu schweben scheint und referierend dasteht, als habe er sich soeben zum Sitzungsbericht erhoben. Im siebten Panel hingegen sind er und der Stuhl, der die Sitzung verbildlicht, einfarbig gehalten und die Figur kehrt uns den Rücken zu. Diese Haltung nimmt er nun ein, da er kein höherer Verwaltungsbeamter der Kommandantur ist, von welchen er in diesem Moment spricht und die Darstellung gibt uns zu erkennen, dass er sich jetzt in der Rolle des Außenseiters versteht. Er wendet in Panel acht leicht den Kopf und ist uns im neunten erneut zugewandt, jetzt wieder farbig und der Stuhl gilt dem Angesprochenen als Einladung. Allerdings stützt der Offizier sich hinterrücks auf denselben. Steht der Stuhl stellvertretend für die Sitzung, sehen wir hier eine Assoziation seines Plans, da der Offizier laut diesem die Sitzung zu manipulieren beabsichtigt, also selbst im Hintergrund wirkt, obwohl er normalerweise nicht relevant für den Sitzungsablauf wäre. Zusätzlich sehen wir eine Farbumkehr von Panel sieben nach acht. In Verbindung mit dem Sprechblasentext ergibt sich, dass der Offizier sich als Einzelperson von der Beschlussriege ausgegrenzt fühlt, da er allein und grün-gräulich im weiten Raum schwebt.

Er ist dunkler als seine Umgebung, er ist standhafter und fasst zudem an die Stuhllehne als Zeichen seines Vorhabens, seinen Platz trotz erfahrener Ausgrenzung zu verteidigen. Eine Gemütsumkehr stellt sich ein, da in Panel acht die Umgebung die dunklere Farbe erhält, also als Widerstand gegen das helle oder auch edle Begehren des Offiziers steht; jetzt verkörpert jener ganz sich selbst. Dieses Panel wirkt insofern zusätzlich auf den Rezipienten, da er aus den helleren Panels der Seite heraussticht und nicht nur den Blick einfängt, sondern diesen auch länger hält und den Leser verweilen lässt. Um den in der Sprechblase angesprochenen Widerwillen zu verbildlichen, liegt zudem eine schwere Schattierung auf den Schultern der Figur; dieselbe im Gesicht und der verengte Blick weisen auf eine In-sich-Gekehrtheit hin, mit der der Zeichner eine weitere Möglichkeit der Personentiefe anbietet.

Im Vorwort spricht Ricard übrigens von einem „Spiegel dessen, was wir sind“ (Ricard/Maël, S.2) und Maël setzt diese Idee expressiv um: hier dient die Kolorierung vor allem der Introspektion des Subjekts, der Erweiterung der Gefühlswelt und Lesbarkeit. Die Autoren sind dem Werk Kafkas solcherart treu geblieben, dass sie die Figuren nicht nur bildlich in ihrer charakterlichen Tiefe (Kolorierung, Schattierung, Raumpositionierung) anbieten, sondern auch die gesamte jeweilige Panelumgebung zu deren eigener Wiederspiegelung nutzen. Gerade durch diese Darstellung vermitteln Ricard und Maël aber nichtsdestotrotz einen Eindruck, der dem Kafka-Rezipienten bereits bekannt ist: das beklemmende Gefühl, vor etwas zu stehen und es aufgenommen zu haben, obwohl es zwar nicht unmittelbar ausgedrückt ist, aber doch gemeint sein könnte.

 

Literatur:

Ricard, Sylvian/ Maël: In der Strafkolonie nach Franz Kafka. Knesebeck, München, 2012.

McCloud, Scott: Comics richtig lesen. Carlsen, Hamburg, 2001.

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„Paul Austers Stadt aus Glas” admin

Die Panel-Struktur kann eigene Geschichten erzählen – Analyse von „Paul Austers Stadt aus Glas“ von Paul Karasik und David Mazzucchelli

von Lisa Krause

Der Comic von Paul Karasik und David Mazzucchelli nach Paul Austers Vorlage „Stadt aus Glas“ ist eines jener Werke, die auf besondere Art und Weise mit dem Aufbau der Seite und der Panel-Struktur spielen. Fast durchgängig findet der Leser beim Umblättern der festen, glänzenden Seiten ein Uniform-Grid (Dittmar, S. 62) mit neun gleich großen Einzelbildern. Aufgrund dieser Einheitlichkeit bleibt auch das ungeübte Auge besonders an Abweichungen von der „Norm“ hängen und ruht auf diesen, um sie näher zu betrachten und auf Einzelheiten hin zu untersuchen. Diese Ausnahmen werden dazu verwendet, den Erzählfluss zu lenken und die Aufmerksamkeit des Rezipienten gezielt zu steuern. Der Comic von Mazucchelli und Karasik bietet sich in dieser Hinsicht geradezu an, um Panel-Struktur und Rahmung genauer zu betrachten.

Als der 35-jährige Daniel Quinn durch eine Verwechslung für den Detektiv Paul Auster gehalten wird, spielt der Schriftsteller kurzerhand mit, um ganz und gar in der Rolle seines Romanhelden „Max Work“ aufzugehen. Sein Auftraggeber – Peter Stillman – lädt ihn zu einem Gespräch ein, um sein Anliegen vorzubringen. Schon wenige Seiten später findet sich eine besonders auffällige Splash-Page, welche den Leser einige Momente in ihren Bann zieht und den Erzählfluss verlangsamt. Nachdem das Uniform-Grid zuvor eine gewisse Einheitlichkeit verschafft hat, eröffnet sich nun ein schwarzes Panel, das seine Bedeutung erst auf den zweiten Blick voll entfalten kann (Mazzucchelli/ Karasik, S. 28).

01Der Rinnstein ist nach oben und unten hin durch insgesamt vier Linien von der äußeren Umrahmung getrennt. Durch den Einsatz weiterer Linien an den waagerechten Spalten entsteht ein dreidimensionaler Effekt, welcher den Rinnstein zu einem Gefängnisgitter werden lässt. Dadurch wird das Split-Panel auf besondere Art und Weise auch zu einer Splash-Page. Über dem Schlüsselloch der Gefängnistür befindet sich eine Sprechblase mit einem langen, geschwungenen Ventil. Der Aufbau der Seite steht in einem starken Kontrast zum Inhalt, denn Stillman spricht von Hoffnung, während ein Gefängnis wohl eher auf seinen wahren Gemütszustand und seine Vergangenheit schließen lässt. Direkt daneben befindet sich eine weitere Splash-Page, die den Gegensatz von Gesagtem und Gezeigtem erneut aufgreift (ebd., S. 29) und das vorangegangene Panel somit unterstützt.

Ein ähnlicher Seitenaufbau ist bereits wenig später erkennbar. Als Quinn beschließt, den „Fall Stillman“ anzunehmen, legt er sich ein neues Notizbuch zu. Darin hält er zunächst all seine Gedanken zum Fall fest (ebd., S 43).

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Dem Rezipienten eröffnet sich eine Splash-Page, welche den nachdenklichen Quinn zeigt, der entblößt an seinem Schreibtisch sitzt und in sein Notizbuch schreibt. Der schwarze Hintergrund ist durch verstreute, herausgetrennte Buchseiten unterbrochen. Auf Gedankenblasen wurde verzichtet, dafür sind Quinns Gedanken auf den verstreuten Seiten zu lesen. Durch den Rinnstein wirkt der Blick über das Meta-Panel (Dittmar, S. 58), als sei er durch ein Fensterkreuz unterbrochen. Dadurch wird auch diese Splash-Page gleichermaßen zu einem Split-Panel. Der Betrachter nimmt die Position eines Voyeurs ein, der den Protagonisten in einem intimen Moment heimlich beobachtet. Die umherfliegenden Notizbuchseiten sind eindeutig als Gedankengut, vielleicht sogar als Traum oder Tagtraum Quinns zu verstehen, welchen er unter normalen Umständen vermutlich nicht unbedingt mit der Öffentlichkeit teilen würde.

„Stadt aus Glas“ ist einer jener Comics, innerhalb derer mit der Panelstruktur gespielt wird, um den Erzählfluss und das Tempo zu lenken. Die Rahmungen sowie der Rinnstein und das Panel-Grid unterstützen zudem den Verlauf der Geschichte und lassen den Leser an Stellen verweilen, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. Dadurch erhält der Comic eine gewisse Dynamik. Die Splash-Pages fallen dem Betrachter sofort ins Auge, da der Rest des Comics meist einheitlich durch ein Uniform-Grid mit neun gleich großen Panels gestaltet ist. Durch dieses Mittel wird die gesamte Struktur des Comics aufgebrochen, die Panelstruktur erzählt eine eigene Geschichte.

 

Quellen:

Dittmar, Jakob F.: Comic-Analyse. Konstanz, 2008.

Mazzucchelli, David/ Karasik, Paul: Paul Austers Stadt aus Glas. Berlin, 2006.

McCloud, Scott: Comics richtig lesen. Die unsichtbare Kunst, Hamburg, 2001.

Schmitz-Emans, Monika: Literatur-Comics. Berlin, 2012

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Kafka von Mairowitz und Crumb admin

Eine Rezension von Paddy Schmidt

Anfang der 1990er Jahre schlug der Verlag Icon Books dem Autor David Zane Mairowitz vor, eine Comic-Biographie samt der Umsetzung einiger der wichtigsten Werke Franz Kafkas anzufertigen. Dass Mairowitz als Autor eine gute Wahl gewesen sein dürfte, zeigt nicht nur der Erfolg des Comics, der in viele Sprachen übersetzt und in Deutschland 2013 wieder beim Verlag Reprodukt neu aufgelegt wurde, sondern auch die von ihm nach gleicher Art angefertigten Comics zu Wilhelm Reich und Albert Camus.

Mairowitz dürfte auch nicht zuletzt deswegen auserkoren worden sein, da er durch seine Umsetzungen von Literatur in Hörspiele und Aufführungen darin erprobt war, große Romane zu verknappen, dabei aber deren wesentliche Merkmale nicht außer Acht zu lassen. Als Kafka-Anhänger outete sich Mairowitz in Deutschland spätestens im vergangenen Jahr, als neben der Neuauflage des hier besprochenen Comics auch ausführliche Comic-Umsetzungen von Der Process und von Das Schloss aus seiner Schreibfeder auf deutsch erschienen sind.

mairowitz-crumb-selbstportrait-seite165Mairowitz und Crumb (Selbstporträt)

Für den Kafka-Comic wandte er sich an den Zeichner Robert Crumb (Fritz the Cat), der von dem Projekt sofort begeistert war. Crumb, der sich oftmals als klein und zitternd neben kräftigen Frauen mit ausladenden Hinterteilen darstellte, hat ähnliche Ängste vor Frauen wie Franz Kafka. Dieser wird in der Graphic Novel mit folgenden Worten zitiert: „Die Frauen sind Fallen, die den Menschen von allen Seiten belauern, um ihn in das Nur-Endliche zu reißen“ (S. 127).

Die Mischung aus Biographie, Geschichtsstunde und Kritik an der postumen Vermarktung Kafkas, in die Umsetzungen der wichtigsten Werke Kafkas ins Comic-Format eingepflegt werden, ist thematisch recht einzigartig für eine Graphic Novel, weiß allerdings zu überzeugen. Vor allem die ersten Seiten wie auch das sogenannte Nachwort bestehen aus größeren Abschnitten „herkömmlichen“ Textes, der mit Crumbs Zeichnungen bebildert wird, und vermitteln so viele Informationen zu Kafka, der Forschung und Rezeption. Zwischen den biographischen und ergänzenden Informationen werden Adaptionen einiger bekannter Werke Kafkas eingeschoben und in Bezug zu Kafka und seinem Leben gesetzt, was sehr geschickt geschieht und das Gesamtwerk Kafka noch interessanter macht. Zu den Umsetzungen gehören Das Urteil, Die Verwandlung, Der Bau, In der Strafkolonie, Der Prozess, Das Schloss, Ein Hungerkünstler und Der Verschollene. Diese sind allesamt sehr gut gelungen und schaffen einen beachtlichen Spagat: Die Essenz der Geschichten bleibt erhalten, die Stimmung ist beklemmend-bedrohlich wie in den Originaltexten. In nur wenigen Panels werden die Vorlagen auf das Wesentliche reduziert, und doch hat man den Eindruck anschließend auch über die Werke, die man noch nicht kannte, bestens informiert zu sein.

Natürlich muss bei einer Comic-Umsetzung in diesem Rahmen großzügig gekürzt werden. So wird der Rezipient die ein oder andere Stelle eines Originals, die ihn besonders beeindruckt oder berührt hat, vermissen müssen. Auch bleibt daher nicht aus, dass man als Leser nicht mit jeder Entscheidung des Autors einverstanden sein kann. So könnte beispielsweise irritieren, dass in Das Urteil an der Stelle, an der Georg zu seinem Vater sagt „Du hast mir also aufgelauert!“ (S. 34), die in der Vorlage folgende mitleidige Replik „Das wolltest du wahrscheinlich früher sagen. Jetzt paßt es ja gar nicht mehr“ fehlt, die stark in der Wandlung des Vaters vom Schwächeren der beiden zum sehr viel Stärkeren unterstützend mitwirkt. Da aber auch die vorangehenden Worte des Vaters – „Seit Jahren passe ich schon auf, daß du mit dieser Frage kämest! [...]“ – fehlen, bleibt die Frage, wieso sich Mairowitz für diesen Satz als Quintessenz der Szene entschieden hat.

Nichtsdestotrotz handelt es sich bei Kafka um eine wunderbare, lesenswerte Graphic Novel. An den biographischen und geschichtlichen Umrahmungen der Literatur-Umsetzungen kann man nur schwerlich etwas aussetzen. Auch wenn Mairowitz sich über die Metamorphose Kafkas zum Adjektiv auslässt (S. 5), sei angemerkt, dass die Bilder Crumbs hervorragend zum Inhalt passen und die kafkaeske Stimmung wunderbar einfangen.

Zwar ist direkt ersichtlich, dass das Zusammenspiel von Text und Bild nicht nur bei den biographischen und sonstigen Erläuterungen prima funktioniert, sondern auch bei der Verwirklichung einer Geschichte als Comic – es kann doch gesagt werden, dass eine derartige Verknappung dieses Textes nicht ohne Bilder funktionieren würde. Und vielleicht sogar nicht ohne die Bilder Robert Crumbs.

Literatur:

Mairowitz, David Zane/ Crumb, Robert: Kafka. Reprodukt, 2013.

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