Fiors Fräulein Else
von Melissa Müller
Die Protagonistin von Arthur Schnitzlers Monolognovelle Fräulein Else ist ein 19-jähriges Mädchen, das in einem wohlhabenden Umfeld verkehrt. Sie ist sensibel und leicht irritierbar. Zum Einen weiß Else um ihre Schönheit und Attraktivität, ist zum Anderen aber auch durch ihre Umwelt verunsichert. So zweifelt sie an ihren Fähigkeiten, z.B. Klavierspielen, und macht sich Sorgen um eine Heirat. Des Weiteren ist sie durch die Bezeichnung `Fräulein´ in einem Schwebezustand zwischen Kind und Frau. Außerdem steht Else in Kontroverse zwischen gesellschaftlichen Konventionen und autonomer Lebensführung. Auf der einen Seite möchte Else der Gesellschaft und ihren Konventionen entsprechen, aber auf der anderen Seite will sie auch autonom über ihr Leben bestimmen. Für eine unverheiratete Frau ist es um 1900 nicht möglich diese beiden Wünsche zu vereinen. Else ist unsicher bezüglich ihres sexuellen Begehrens und ihrer gesellschaftlichen Position, wodurch ihre Identität gebrochen erscheint. Durch diese Störung ihrer Identität begibt sich Else in eine Isolation und Einsamkeit, die sowohl zur Introversion und als auch zur Extroversion führt. Narzissmus und Autoerotik verkörpern die Introversion. Der Exhibitionismus und der damit verbundene Ausbruch aus konventionellen Verhaltensnormen stellen die Extroversion dar. Der Ausbruch aus konventionellen Verhaltensnormen ist auch schon vor dem Exhibitionismus vorhanden, z.B. in der Bitte der Mutter an Else von Dorsday Geld zu fordern. Der Fokus der zu untersuchenden Eigenschaften liegt auf dem Aspekt der Isolation und Einsamkeit, der Introversion und der Extroversion. Dem Rezipienten des Comics ist es möglich, sowohl Elses Perspektive als auch eine Außenperspektive einzunehmen. Die Wahrnehmung von außen wird ermöglicht, da sich der Zeichner entschieden hat, den Körper von Else zu visualisieren. Diese, die in Form des Inneren Monologs geäußert werden, sind mittels Gedankenblasen, die in die Panels eingefügt sind und teilweise auch über den Rinnstein hinaus gehen (Fior, S. 41), für den Rezipienten wahrnehmbar. Im Gegensatz zu den Gedanken Elses werden Sprechakte, die von Else, aber auch von anderen Figuren getätigt werden, durch Sprechblasen kenntlich gemacht. Mit Hilfe der Möglichkeit zur Außenansicht ist das Gefühl der Isolation und Einsamkeit für den Rezipienten des Comics teilweise aufgehoben, d.h. das Gefühl ist weniger stark vorhanden als in dem Primärtext.
Der Narzissmus und die Autoerotik sind auch im Comic vorhanden. Als Beispiel dient da die Spiegelszene (Fior, S. 58-60). In dieser Szene zeigt Else sich dem Rezipienten schon teilweise nackt, wobei allerdings erotisch aufgeladene Körperstellen, d.h. ihre primären Geschlechtsmerkmale, also ihre Brüste und Scham, verdeckt bleiben. Infolgedessen bleibt die Spannung, wie genau Else aussieht, erhalten. Hier kann sich der Rezipient als Teilnehmer an der Situation, ja sogar als Voyeur fühlen.
Die Extroversion in Form des Exhibitionismus nimmt im Comic eine Sonderstellung ein und wird hervorgehoben. Die Seite, auf der der Rezipient Else zum ersten Mal gänzlich nackt sieht (Fior, S. 72.), ist eine Splash-Page und weist weder Gedankenblasen noch Sprechblasen auf, wodurch die Stille der Situation auch für den Rezipienten spürbar wird. Diese Stille ist auch auf der nächsten Seite (Fior, S. 73) in allen Panels vorhanden. Der Rezipient kann eine Komplettansicht von Else gewinnen, da durch die bildliche Darstellung des Exhibitionismus der Eindruck erweckt wird, dass eine Kamera eine Drehung um Else vollführt.
Es lässt sich also festhalten, dass die Introversion im Comic auch die Funktion der Extroversion annimmt, da der Rezipient Else schon vor dem exhibitionistischen Akt teilweise nackt sehen kann. Dies hat zur Folge, dass die Grenzen zwischen Introversion und Extroversion verschwimmen und nicht mehr so deutlich sind, wie in Schnitzlers Werk. Dennoch ist von der Introversion zur Extroversion eine Steigerung vorhanden, da in der Introversion Elses primäre Geschlechtsmerkmale verborgen sind. Diese sind dann in der Extroversion zu sehen und werden dem Rezipienten durch die Frontalansicht auf Else präsentiert.
Dem Rezipienten ist es im Comic also möglich, Einsicht in Elses Gedanken und Träume zu bekommen, aber es besteht auch die Möglichkeit gegenüber dem Primärtext, die Situation mehr als Ganzes zu erfassen, da eine Außenansicht vorhanden ist. So kann ein umfassenderes Bild der Gesamtsituation und von Else als Person entstehen. Des Weiteren wird Elses facettenreicher Charakter deutlicher und intensiver beleuchtet. Gegenüber dem literarischen Text entsteht im Comic demnach ein Mehrwert bezüglich der Darstellung von Elses Charakter.
Quellen:
Fior, Manuele: Fräulein Else. Nach der Novelle von Arthur Schnitzler. München 2012.
Schnitzler, Arthur/Heizmann, Bertold [Hrsg.]: Fräulein Else. Stuttgart 2008.
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