von Markus Baldeau
Mit „Alte Meister“ veröffentlichte Suhrkamp 2011 Nicolas Mahlers Comic-Adaption des gleichnamigen Romans von Thomas Bernhard. Die Geschichte um den Misanthropen Reger, der seit Jahren das Wiener Kunsthistorische Museum besucht und in ausschweifenden Tiraden über Kunst, die Menschen und alles andere monologisiert, wird auf bemerkenswerte Weise umgesetzt. Es gelingt Mahler, die Möglichkeiten des Mediums Comic gekonnt einzusetzen, um verschiedene Aspekte der Vorlage aufzugreifen und sie sogar noch hervorzuheben.
Besonders auffällig ist hierbei das Panel Grid. Der Comic enthält fast ausnahmslos Splashpages, nur vereinzelt erscheinen mehrere Panels auf einer Seite (S.142, 150ff). Statt durch einen Rinnstein werden die Panels lediglich durch einen Strich unterteilt, wodurch sie eine gemeinsame Einheit bilden und auch eher wie eine Splashpage wirken. Durch diese Struktur wird das Lesetempo stark verlangsamt.
Teilweise sind auf Doppelseiten oder sogar über mehrere Seiten hinweg immer wieder dieselben Motive mit nur geringen Abweichungen zu sehen oder gewisse Ansichten, wie Reger auf der Bank vor dem „Weißbärtigen Mann“, kehren mehrfach wieder (S.33ff). In den einzelnen Bildern gibt es kaum Bewegung und wenn doch, wirkt sie durch das Fehlen von Speedlines langsam und behäbig (S.52). Die Ruhe und Langsamkeit der Museumswelt sowie die Monotonie und das Kreisen in Regers Gedanken werden hierdurch wirkungsvoll inszeniert.
Das Tempo wird darüber hinaus durch das Verhältnis von Bild zu Text bestimmt. Auf den einzelnen Seiten findet sich zum Teil nur sehr wenig, manchmal auch gar kein Text. Gedankengänge oder auch einzelne Sätze ziehen sich oft über mehrere Seiten hin. Dabei werden die Sätze fragmentiert und sowohl durch die Seitenumbrüche als auch durch die Anordnung auf einer Seite räumlich voneinander getrennt (S.20ff), wodurch der Lesefluss gesteuert und wiederum eine Verlangsamung erreicht wird. Die erzeugte Langsamkeit hebt die Comic-Adaption von der Vorlage ab, bei der man deutlich schneller durch die Sätze geht. Die grundlegende Stimmung wird erheblich vertieft.
Umgesetzt wird die räumliche Trennung der Sätze innerhalb einer Seite durch den Einsatz von Captions, in denen ein Großteil des Textes dargestellt wird. Sie werden am oberen wie am unteren Seitenrand platziert und teilweise auch mittig in die Zeichnungen eingebettet. Oft werden die Splashpages durch Captions, die über bzw. unter den Zeichnungen über die gesamte Breite der Seite gesetzt sind, umrahmt (S.99). Die Form der Captions erinnert an Infotafeln, die Rahmung lässt die einzelnen Seiten selbst wie Kunstwerke in einem Museum wirken, die man abschreitet und eines nach dem anderen betrachtet.
Sprechblasen kommen ebenfalls vor, allerdings nur in geringem Umfang. Auch hierdurch wird die stille Atmosphäre des Museums unterstrichen. Mahler setzt Sprechblasen vor allem dort ein, wo Reger Atzbacher direkt anspricht, nämlich einmal zu Beginn ihres Treffens im Bordone-Saal und am Schluss vor dem Museum (S.96f, 151ff). Ansonsten werden nur vereinzelte Aussprüche Regers sowie die Unterhaltung mit seiner Frau bei ihrer ersten Begegnung in Sprechblasen präsentiert (S.20, 105ff). Die Beschreibungen Atzbachers sowie die durch ihn wiedergegebenen Monologe Regers werden aber durchgehend in den beschriebenen Captions dargestellt. So wird die Handlung von Betrachtungen bzw. kritischem Diskurs formal abgegrenzt.
Die Captions sind allesamt Atzbacher zuzuordnen, der gleich zu Beginn als Erzähler eingeführt wird. Durch ihn werden die gesamte Handlung und sämtliche Monologe Regers wiedergegeben. Bezeichnenderweise werden ausschließlich bei Atzbacher, aus dessen Sicht der Leser die Geschichte verfolgt, die Augen dargestellt, wenn auch nur durch seine Brille. Bei allen anderen Figuren und auch auf den dargestellten Gemälden werden die Augen entweder ganz ausgespart, nur abstrakt angedeutet oder sind geschlossen.
Mit Atzbacher als Erzähler, über den Regers Weltsicht transportiert wird, übernimmt Mahler ein zentrales Motiv der Vorlage. Dieses Spiel mit den Perspektiven geschieht zum einen auf sprachlicher Ebene, wie in der Vorlage tauchen auch im Comic die Formeln sagte Reger, sagte er, so Reger usw. immer wieder auf (S.26, 30 etc.). Daneben werden die Perspektiven aber auch durch die visuelle Darstellung umgesetzt. In der Rückansicht Regers verschmelzen die Sicht Atzbachers und des Lesers auf Reger sowie dessen Sicht auf die Wand und das Gemälde vor ihm zu einer gemeinsamen Perspektive, wobei die Wand zur Projektionsfläche von Regers Gedanken wird (S.26f).
Tempo, Atmosphäre und Perspektive sind nur ein Teil dessen, was Mahler bei seiner Umsetzung von „Alte Meister“ gut, wenn nicht sogar besser als der Vorlage gelungen ist. Sie zeigen einige der besonderen Möglichkeiten auf, die der Comic nicht nur bei der Adaption literarischer Texte bietet.
Literatur:
Mahler, Nicolas: Thomas Bernhard. Alte Meister. Suhrkamp, Berlin 2011.
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