Die Gedanken zwischen den Zeilenadmin

Ein innerer Monolog in Bildern

von Anja Joszt

Else 1

Der Wiener Schriftsteller Arthur Schnitzler war zu seinen Lebzeiten mit dem Psychoanalytiker Sigmund Freud bekannt. In vielen Texten Schnitzlers wird dieses Wissen um die Psychologie des Menschen eindeutig offenbar. Eine besondere Stellung unter seinen Werken nimmt die Monolognovelle Fräulein Else ein. Ihre Erzählform ist ausschließlich die des inneren Monologs, welcher dem Leser zu jeder Zeit eine genaue Kenntnis von jeglichen Gedanken und Gefühlen der Hauptfigur Else verschafft. Durch das Miterleben der intimsten Gedanken Elses schafft Schnitzler mit seinen Worten eine äußerst geringe Distanz zwischen Figur und Leser. Wie kann man also als Außenstehender das private Innenleben einer Person besser verstehen, als es in Form von verschriftlichten Gedanken zu lesen?

Manuele Fior versucht dies in Form eines Comics. Insbesondere die Eigenschaft der sequenziellen Kunst, Wort und Bild zu verknüpfen, schafft für die Worte Schnitzlers – und damit für die Gedanken des Fräulein Else – neue Möglichkeiten. Fior versucht nicht, Schnitzlers Worte zu verändern, sondern übernimmt sie für seinen Comic und schafft es dennoch, Else auf eine völlig andere Art darzustellen. Denn er stellt sie – im Gegensatz zu Schnitzler – als körperliche Figur seines Comics dar.

Der Leser befindet sich nun nicht mehr in ihrem Kopf, um ihre Gedanken aus ihrer Perspektive zu verfolgen, sondern betrachtet sie in voyeuristischer Art und Weise von außen, während ihre Gedanken in Gedankenblasen um ihre Figur wabern und ihr Handeln begleiten.

Else 3

Viele Vorgänge in ihrem Inneren bleiben so verborgen, verschwinden in den Leerstellen, die die Rinnsteine zwischen den Panels schaffen und die der geringe Umfang an Worten nicht füllen kann. Doch trotz diesem Wechsel der Erzählperspektive, der die gesamte Darstellung der Else-Figur ändert, lässt Fior den Leser auf besondere Art und Weise an Elses Gefühlswelt teilhaben, indem er die Mittel nutzt, die ihm nur anhand des Comicformates zur Verfügung stehen.

Vor allem die zeichnerische Gestaltung und die Farbgebung der Comic-Adaption von Fräulein Else stechen dabei hervor. Im Gegensatz zu anderen Comiczeichnern finden sich in Fiors Panels keine typisch schwarz-weißen Karikaturen oder Farben im bunten Donald-Duck-Stil. Das gezeichnete Fräulein Else erinnert viel mehr an Kunstwerke im Stil von Gustav Klimt oder Egon Schiele in fließenden Aquarellfarben. Auch ist die Farbgebung bei Fior keineswegs willkürlich gewählt. Die Farben jedes einzelnen Panels spiegeln diejenigen Gedanken und Emotionen Elses wieder, die mit Worten nur implizit oder gar nicht deutlich werden. So können einzelne Panels in leidenschaftlichem Rot hervorstechen, während Elses Gedanken um mögliche Liebhaber und Affären kreisen oder sie verfärben sich in giftiges Grün vor aufwallender Eifersucht beim Erscheinen von Elses Konkurrentin Cissy. Und nicht nur die fließenden Farben helfen dabei, Elses Gedanken zu entschlüsseln und ihre Träume von der Wirklichkeit abzugrenzen. Ebenso wie bei der Farbgebung wählt Fior auch bei seinem Seitenaufbau und der Panelstruktur keine Standardformate. Je nach Elses Gefühlslage fließen die Panels ineinander, sodass der Blick des Lesers passend zu Elses Tagträumen über die Seiten gleitet oder sie werden mit Elses zunehmender Hysterie schmal und schief, um nur sekundenlange Momentaufnahmen von Elses Wahrnehmung wiederzugeben.

Else 2

Auch wenn nur einzelne Panels Elses eigentliche Blickrichtung zeigen und den Leser durch ihre Augen blicken lassen, wird durch die besondere Technik Manuele Fiors in jedem Panel deutlich, dass es Elses Perspektive zeigt und Hinweise auf ihr Inneres gibt. Selbst wenn man bei einer konsequenten Umsetzung von Schnitzlers Vorlage Else als Figur lediglich dann sehen dürfte, wenn sie sich selbst im Spiegel betrachtet, bietet Fiors von außen zu betrachtende Else doch viel mehr Gelegenheit Gefühlsregungen und Charakterzüge anhand der dargestellten Mimik und Gestik zu deuten. Zusammen mit der technischen Gestaltung des Comics entsteht so eine dicht gewobene, vielschichtige Interpretation der Else-Figur. In Fiors Darstellung trägt jedes Panel, jede Struktur, Farbe und Gedankenblase zur Geschichte etwas bei, er lässt jede Linie für sich – und Else – sprechen und wird dabei von Arthur Schnitzlers Worten nur begleitet.

 

Literatur:

Fior, Manuele: Fräulein Else. Nach der Novelle von Arthur Schnitzler. Süddeutsche Zeitung/ Bibliothek, München, 2012.

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