Ricards/Maëls In der Strafkolonie nach Franz Kafka
von Sascha Winkler
Eine erstmalige Literaturadaption der Strafkolonie im Comic wurde uns (nebst weiteren) 1993 von David Zane Mairowitz und Robert Crumb mit der gezeichneten Biographie Kafka gegeben. Die Adaption ist nicht koloriert, fragmentarisch aufgebaut und endet bereits mit dem Tod des Offiziers.
Sehr viel ausführlicher arbeiten Sylvain Ricard und Maël, indem sie der Erzählung einen eigenen Comic-Band widmen. Die McCloudschen Übergangstypen 1 und 2, also von Augenblick zu Augenblick und von Handlung zu Handlung (McCloud 2001, S.78ff.), bewahren hier die Nuancen des gegenseitigen Belauerns und Beobachtens. Immerhin wird gerade die Originalerzählung von ihrem Dialog getragen, indem der Offizier den Reisenden mithilfe von anschaulichen Beschreibungen zu überzeugen versucht; auch die von Maël gewählte sepiafarbene Palette in Grau-, Rot- sowie Gelbtönen unterstreicht den Dialog und bietet eine Erweiterung der Lesbarkeit und Introspektion an: sie kann die lokale Hitze darstellen, den insgeheim in der Kolonie geehrten aber veralteten Zeitgeist oder die Müdigkeit des Sich-Erwehrens, vor allem die Nuancen der Beziehungsentwicklung der Figuren treten stark heraus. Man hat hier einen Weg eingeschlagen, der den Surrealismus der Geschichte in ihrem vollen Ausdruck umzusetzen sucht. Die Emotionalität bleibt allerdings eine Sache der bildlichen Darstellung und findet sich im Sprechblasentext nicht wieder. Wie die Strenge des Gutter-Aufbaus durch die Kolorierung kompensiert wird, lässt sich an den folgenden Beispielen herauslesen:
Betrachten wir die Farbwirkung der vier nachgeordneten Panels, indem wir sie von oben nach unten lesen: Die orangene Farbe tritt besonders stechend hervor, entsprechend wird ein Höhepunkt markiert, der inhaltlich dem drängenden Überzeugungswillen des Offiziers entspricht. Das nächste Panel ist bläulich-grau hinterlegt, um den plötzlichen Abbruch des gerade Geschehenen zu illustrieren, ein Erkalten der Situation, das für den Offizier eine Verschnaufpause, für den Reisenden einen Schockmoment, wohl auch Ungläubigkeit ob des Emotionsausbruchs bedeutet. Die Erstarrung des Geschehens weicht im darauffolgenden Panel einem allmählichen Ocker. Der Offizier wartet ab, das erste Gefühl des Misserfolgs mag ihn beschleichen, während der Reisende selbst im Blau-Grau des vorangegangenen Panels gehalten ist und mit einer weiteren Reaktion seines Gegenübers rechnet bzw. im gleichen Augenblick die Situation abschließt. Das letzte Panel entbehrt fast völlig der Farbe, ein wenig Braun liegt im Hintergrund, die Entscheidung ist gefallen. Das Fehlen der Farbe bedeutet hier den Feststand, die Unumkehrbarkeit: die Figuren sind weiß; der Reisende wird seine Meinung nicht mehr ändern, dem Offizier weicht das Blut. Das Licht ist scheinbar ausgeschaltet worden und wir haben exemplarisch für die Adaption festgestellt, dass durch die Kolorierung des Hintergrunds nicht nur eine Stimmung erzeugt wird, die neben dem Text der Sprechblasen eine neue Möglichkeit des Lesens anbietet, sondern auch eine gewisse Induktionshilfe vorliegt.
Ein anderes Beispiel für die Bedeutung der Kolorierung ist die Darstellung der Offiziersrede:
Die Autoren verzichten hier auf Details der Umgebung, so sie verzichtbar sind und untermalen lediglich mit der Darstellung von Stühlen die Vorstellung des Offiziers, der hier verschiedene Rollen verkörpert. Im zweiten Panel nimmt er beispielsweise die Position des Reisenden ein, indem er durch die Einfarbigkeit des Hintergrunds in der Luft zu schweben scheint und referierend dasteht, als habe er sich soeben zum Sitzungsbericht erhoben. Im siebten Panel hingegen sind er und der Stuhl, der die Sitzung verbildlicht, einfarbig gehalten und die Figur kehrt uns den Rücken zu. Diese Haltung nimmt er nun ein, da er kein höherer Verwaltungsbeamter der Kommandantur ist, von welchen er in diesem Moment spricht und die Darstellung gibt uns zu erkennen, dass er sich jetzt in der Rolle des Außenseiters versteht. Er wendet in Panel acht leicht den Kopf und ist uns im neunten erneut zugewandt, jetzt wieder farbig und der Stuhl gilt dem Angesprochenen als Einladung. Allerdings stützt der Offizier sich hinterrücks auf denselben. Steht der Stuhl stellvertretend für die Sitzung, sehen wir hier eine Assoziation seines Plans, da der Offizier laut diesem die Sitzung zu manipulieren beabsichtigt, also selbst im Hintergrund wirkt, obwohl er normalerweise nicht relevant für den Sitzungsablauf wäre. Zusätzlich sehen wir eine Farbumkehr von Panel sieben nach acht. In Verbindung mit dem Sprechblasentext ergibt sich, dass der Offizier sich als Einzelperson von der Beschlussriege ausgegrenzt fühlt, da er allein und grün-gräulich im weiten Raum schwebt.
Er ist dunkler als seine Umgebung, er ist standhafter und fasst zudem an die Stuhllehne als Zeichen seines Vorhabens, seinen Platz trotz erfahrener Ausgrenzung zu verteidigen. Eine Gemütsumkehr stellt sich ein, da in Panel acht die Umgebung die dunklere Farbe erhält, also als Widerstand gegen das helle oder auch edle Begehren des Offiziers steht; jetzt verkörpert jener ganz sich selbst. Dieses Panel wirkt insofern zusätzlich auf den Rezipienten, da er aus den helleren Panels der Seite heraussticht und nicht nur den Blick einfängt, sondern diesen auch länger hält und den Leser verweilen lässt. Um den in der Sprechblase angesprochenen Widerwillen zu verbildlichen, liegt zudem eine schwere Schattierung auf den Schultern der Figur; dieselbe im Gesicht und der verengte Blick weisen auf eine In-sich-Gekehrtheit hin, mit der der Zeichner eine weitere Möglichkeit der Personentiefe anbietet.
Im Vorwort spricht Ricard übrigens von einem „Spiegel dessen, was wir sind“ (Ricard/Maël, S.2) und Maël setzt diese Idee expressiv um: hier dient die Kolorierung vor allem der Introspektion des Subjekts, der Erweiterung der Gefühlswelt und Lesbarkeit. Die Autoren sind dem Werk Kafkas solcherart treu geblieben, dass sie die Figuren nicht nur bildlich in ihrer charakterlichen Tiefe (Kolorierung, Schattierung, Raumpositionierung) anbieten, sondern auch die gesamte jeweilige Panelumgebung zu deren eigener Wiederspiegelung nutzen. Gerade durch diese Darstellung vermitteln Ricard und Maël aber nichtsdestotrotz einen Eindruck, der dem Kafka-Rezipienten bereits bekannt ist: das beklemmende Gefühl, vor etwas zu stehen und es aufgenommen zu haben, obwohl es zwar nicht unmittelbar ausgedrückt ist, aber doch gemeint sein könnte.
Literatur:
Ricard, Sylvian/ Maël: In der Strafkolonie nach Franz Kafka. Knesebeck, München, 2012.
McCloud, Scott: Comics richtig lesen. Carlsen, Hamburg, 2001.
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