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Die Panel-Struktur kann eigene Geschichten erzählen – Analyse von „Paul Austers Stadt aus Glas“ von Paul Karasik und David Mazzucchelli

von Lisa Krause

Der Comic von Paul Karasik und David Mazzucchelli nach Paul Austers Vorlage „Stadt aus Glas“ ist eines jener Werke, die auf besondere Art und Weise mit dem Aufbau der Seite und der Panel-Struktur spielen. Fast durchgängig findet der Leser beim Umblättern der festen, glänzenden Seiten ein Uniform-Grid (Dittmar, S. 62) mit neun gleich großen Einzelbildern. Aufgrund dieser Einheitlichkeit bleibt auch das ungeübte Auge besonders an Abweichungen von der „Norm“ hängen und ruht auf diesen, um sie näher zu betrachten und auf Einzelheiten hin zu untersuchen. Diese Ausnahmen werden dazu verwendet, den Erzählfluss zu lenken und die Aufmerksamkeit des Rezipienten gezielt zu steuern. Der Comic von Mazucchelli und Karasik bietet sich in dieser Hinsicht geradezu an, um Panel-Struktur und Rahmung genauer zu betrachten.

Als der 35-jährige Daniel Quinn durch eine Verwechslung für den Detektiv Paul Auster gehalten wird, spielt der Schriftsteller kurzerhand mit, um ganz und gar in der Rolle seines Romanhelden „Max Work“ aufzugehen. Sein Auftraggeber – Peter Stillman – lädt ihn zu einem Gespräch ein, um sein Anliegen vorzubringen. Schon wenige Seiten später findet sich eine besonders auffällige Splash-Page, welche den Leser einige Momente in ihren Bann zieht und den Erzählfluss verlangsamt. Nachdem das Uniform-Grid zuvor eine gewisse Einheitlichkeit verschafft hat, eröffnet sich nun ein schwarzes Panel, das seine Bedeutung erst auf den zweiten Blick voll entfalten kann (Mazzucchelli/ Karasik, S. 28).

01Der Rinnstein ist nach oben und unten hin durch insgesamt vier Linien von der äußeren Umrahmung getrennt. Durch den Einsatz weiterer Linien an den waagerechten Spalten entsteht ein dreidimensionaler Effekt, welcher den Rinnstein zu einem Gefängnisgitter werden lässt. Dadurch wird das Split-Panel auf besondere Art und Weise auch zu einer Splash-Page. Über dem Schlüsselloch der Gefängnistür befindet sich eine Sprechblase mit einem langen, geschwungenen Ventil. Der Aufbau der Seite steht in einem starken Kontrast zum Inhalt, denn Stillman spricht von Hoffnung, während ein Gefängnis wohl eher auf seinen wahren Gemütszustand und seine Vergangenheit schließen lässt. Direkt daneben befindet sich eine weitere Splash-Page, die den Gegensatz von Gesagtem und Gezeigtem erneut aufgreift (ebd., S. 29) und das vorangegangene Panel somit unterstützt.

Ein ähnlicher Seitenaufbau ist bereits wenig später erkennbar. Als Quinn beschließt, den „Fall Stillman“ anzunehmen, legt er sich ein neues Notizbuch zu. Darin hält er zunächst all seine Gedanken zum Fall fest (ebd., S 43).

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Dem Rezipienten eröffnet sich eine Splash-Page, welche den nachdenklichen Quinn zeigt, der entblößt an seinem Schreibtisch sitzt und in sein Notizbuch schreibt. Der schwarze Hintergrund ist durch verstreute, herausgetrennte Buchseiten unterbrochen. Auf Gedankenblasen wurde verzichtet, dafür sind Quinns Gedanken auf den verstreuten Seiten zu lesen. Durch den Rinnstein wirkt der Blick über das Meta-Panel (Dittmar, S. 58), als sei er durch ein Fensterkreuz unterbrochen. Dadurch wird auch diese Splash-Page gleichermaßen zu einem Split-Panel. Der Betrachter nimmt die Position eines Voyeurs ein, der den Protagonisten in einem intimen Moment heimlich beobachtet. Die umherfliegenden Notizbuchseiten sind eindeutig als Gedankengut, vielleicht sogar als Traum oder Tagtraum Quinns zu verstehen, welchen er unter normalen Umständen vermutlich nicht unbedingt mit der Öffentlichkeit teilen würde.

„Stadt aus Glas“ ist einer jener Comics, innerhalb derer mit der Panelstruktur gespielt wird, um den Erzählfluss und das Tempo zu lenken. Die Rahmungen sowie der Rinnstein und das Panel-Grid unterstützen zudem den Verlauf der Geschichte und lassen den Leser an Stellen verweilen, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. Dadurch erhält der Comic eine gewisse Dynamik. Die Splash-Pages fallen dem Betrachter sofort ins Auge, da der Rest des Comics meist einheitlich durch ein Uniform-Grid mit neun gleich großen Panels gestaltet ist. Durch dieses Mittel wird die gesamte Struktur des Comics aufgebrochen, die Panelstruktur erzählt eine eigene Geschichte.

 

Quellen:

Dittmar, Jakob F.: Comic-Analyse. Konstanz, 2008.

Mazzucchelli, David/ Karasik, Paul: Paul Austers Stadt aus Glas. Berlin, 2006.

McCloud, Scott: Comics richtig lesen. Die unsichtbare Kunst, Hamburg, 2001.

Schmitz-Emans, Monika: Literatur-Comics. Berlin, 2012

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