Die Komik im Kafka-ComicAnastasia Neumann

Corbeyrans und Hornes Die Verwandlung von Franz Kafka

Beim Lesen der Erzählung Franz Kafkas Die Verwandlung hat der Leser üblicherweise nichts zu Lachen. Sowohl die Geschichte selbst als auch ihre sprachliche Umsetzung erscheinen in der Regel düster, bedrückend und absurd: eben kafkaesk. Aber dass Kafkas Texten eine gewisse Komik innewohnt, hat bereits sein guter Freund und Verleger Max Brod konstatiert:

„Wenn Kafka selbst vorlas, wurde dieser Humor besonders deutlich. So zum Beispiel lachten wir Freunde ganz unbändig, als er uns das erste Kapitel des Prozeß zu Gehör brachte. Und er selbst lachte so sehr, daß er weilchenweise nicht weiterlesen konnte. – Erstaunlich genug, wenn man den fürchterlichen Ernst dieses Kapitels bedenkt. / Aber es war so. / Gewiß, es war kein durchaus gutes behagliches Lachen. Aber eine Komponente guten Lachens war mit dabei, – neben den hundert Komponenten der Unheimlichkeit, die ich nicht verkleinern will. Ich weise nur auch auf das hin, was man sonst bei Betrachtung Kafkas leicht vergißt: den Einschlag von Welt- und Lebensfreude.“ (Brod, S. 217)

Und auch bei der Betrachtung der Comic-Adaption einer Kafka-Erzählung, nämlich Die Verwandlung des Zeichners Richard Horne und des Autors Eric Corbeyran (in der dt. Adaption von Kai Wilksen), mag der Leser den von Brod bezeichneten „Einschlag von Welt- und Lebensfreude“ (ebd.) zunächst nicht erkennen, erscheint das Comic doch in recht dunklem Gewand. Seine Produktion muss eine enorme Menge an Druckerschwärze verbraucht haben. Aber (mindestens) zwei signifikante Unterschiede zum Original sind deutlich zu erkennen: Zum einen wird die im Text niemals konkret benannte Kreatur – in welche sich Gregor Samsa eines Morgens verwandelt vorfindet – in anatomisch teilweise penibler Genauigkeit als Schabe illustriert. Zum anderen bricht der Comic mit der Erwartung des Lesers, die scheinbar bedrückende Stimmung der Erzählung bloß bildlich umzusetzen. Denn mag das Buch durch seine düstere Aufmachung und eine überdimensional großen Schabe auf der Titelseite den Leser zunächst verschrecken, so wird er, wenn er sich traut, auf dessen Seiten zahlreiche Widersprüche bild-textueller Form feststellen, die eine gewisse Komik – gerade aufgrund ihrer Paradoxien – bewirken.

Corbeyran und Horne adaptieren Kafkas Die Verwandlung nicht nur – sie interpretieren sie neu. Beziehungsweise interpretieren sie die Vorlage auf eine Weise, die die im Text bereits angelegten Elemente besonders zur Geltung kommen lässt. Damit ziele ich aber weniger auf die Verkörperung Gregors nach seiner Verwandlung als vielmehr auf die potenzielle Komik des Originals ab. Auf den Punkt gebracht heißt das: Corbeyran und Horne bringen in ihrer Comic-Adaption Text und Bild auf eine Weise zusammen, die die tiefere Ebene der Ironie der Erzählung erst zum Vorschein bringt.

Wie aber funktioniert die Komik in dieser Comic-Adaption? Zunächst sei erwähnt, dass mit dem Begriff der Komik hier kein seichter, auf den ersten Blick erkennbarer Humor gemeint ist. Die Komik in Corbeyrans und Hornes Version der Verwandlung gleicht eher dem, was üblicherweise als Ironie oder teilweise auch schwarzer Humor bezeichnet wird. Sie entsteht, indem Bild und Text auf paradoxe und widersprüchliche Art zusammengefügt werden. So beispielsweise auf den folgenden Panels [für ein größeres Bild bitte anklicken]:

Kafka Comic VerwandlungDie Splash Page zeigt Gregor als Schabe in voller Größe auf seinem Bett liegend und darüber nachdenkend, ob er sich krank melden soll. Auf dieser Splash Page sind kleinere Panels dynamisch angeordnet, die Detailansichten einzelner Körperteile Gregors zeigen und jeweils mit Captions versehen sind, in denen der Erzähler aus der personalen Erzählperspektive Gregors Argumente gegen eine Krankmeldung anbringt. So sei er beispielsweise „während seines fünfjährigen Dienstes […] noch nicht ein einziges Mal krank gewesen“ und könne sich dies auch nicht leisten, da sein „Chef die Gelegenheit beim Schopfe packen und bei ihm auftauchen“ (Corbeyran & Horne) würde, um ihn als faul und arbeitsscheu zu deklarieren. In allen diesen fünf Panels besteht eine Diskrepanz zwischen dem Text in den Captions und der Illustration des jeweiligen Ausschnitts von Gregors Körper, der dessen Verwandlung und Arbeitsunfähigkeit in aller Deutlichkeit zeigt. Von oben nach unten und links nach rechts gelesen steigen diese Diskrepanz und die mit ihr verbundene Ironie, wenn es z.B. im vorletzten Panel, welches ein Close-up seines Insektenauges zeigt, heißt: „Gregor fühlte sich tatsächlich, abgesehen von einer nach langem Schlaf wirklich überflüssigen Schläfrigkeit, ganz wohl.“ (ebd.) Und im letzten Panel erfährt der Leser, dass Gregor „sogar besonders hungrig“ (ebd.) sei, während er mit den von gelbem Speichel triefenden Mandibeln konfrontiert wird. Diese provokative graphische Umsetzung der Verwandlung Gregors in all ihren Details, gepaart mit seinen verharmlosenden Gedanken, offenbart insbesondere das komische Potenzial des Originals. Damit entspricht die Comic-Adaption durchaus dem kafkaesken Stil absurd zu wirken.

Während in der Erzählung die Art der Verwandlung Gregors der Phantasie des Lesers überlassen wird und dieser sich nie sicher sein kann, ob Gregors Beschwichtigungen nicht doch wahr sein könnten und er sich das Ganze womöglich tatsächlich nur „durch ungeschicktes Liegen“ und eine „Verkühlung“ (Kafka, S.13) eingehandelt hat, wird im Comic aufgrund seiner graphischen Natur stets deutlich, dass die Verwandlung in eine Schabe faktisch vollzogen wurde. Wenn auch die Rätselhaftigkeit des Originals also unter der Eindeutigkeit der Bildsprache der Adaption leidet, so wird durch die paradoxe Zusammenführung von Text und Bild, die in der Erzählung angelegte ironische Komik besonders betont.

Ausführliches zum Aspekt der Komik in Kafkas Texten und ihren Adaptionen – vor allem auch anhand anderer Beispiele – finden Sie in der mit dem Roland-Faelske-Preis für Comic und Animationsfilm ausgezeichneten Magisterarbeit Ute Friedrichs mit dem Titel: „Komik – Comic. Komische Elemente in den Texten Franz Kafkas und ihre bildliche Umsetzung in verschiedenen Comic-Adaptionen.“

von Anastasia Neumann

Quellen:

Brod, Max: Frank Kafka. Eine Biographie. Berlin 1954.

Corbeyran, Erik/ Horne, Richard/ Wilksen, Kai (dt. Adaption): Die Verwandlung von Franz Kafka. Dt. Erstausg., 2. Aufl., München: Knesebeck, 2011.

Friedrich, Ute: Komik – Comic. Komische Elemente in den Texten Franz Kafkas und ihre bildliche Umsetzung in verschiedenen Comic-Adaptionen. 2009. Online unter: Klick!  (17.11.13)

Kafka, Franz: Die Verwandlung. Frankfurt a.M. 1999.

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